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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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Blick zurückzuwerfen, tat es jedoch nicht.

 
24
     
    Auf der Straße vor dem Veterans Building nahm Franz seine wachsame Umschau nach allen Seiten wieder auf, wenn auch etwas flüchtiger als zuvor, doch fühlte er jetzt nicht so sehr Angst als angespannte Wachsamkeit, als ob er ein Wilder wäre, der einen Auftrag in diesem Beton-Dschungel durchzuführen hatte und auf dem Grund einer Schlucht mit gefährlichen, senkrecht abfallenden Wänden entlangschlich. Nachdem er sich durch eigenen Entschluss in Gefahr begeben hatte, fühlte er sich beinahe übermütig.
    Zwei Häuserblocks weiter bog er in die Larkin Street ein. Er ging rasch, doch fast geräuschlos. Es waren nur wenige Menschen unterwegs. Der Mond stand fast senkrecht über ihm. In der Turk Street hörte er aus einiger Entfernung das Jaulen einer Sirene. Er blickte unaufhörlich nach beiden Seiten und hinter sich, ständig auf der Suche nach den Paramentalen, die er durch sein Fernglas gesehen hatte und/oder nach Thibauts Geistern – vielleicht nach einem materiellen Geist, der aus Thibauts im Raum treibender Asche oder einem Teil von ihr geformt worden war. Solche Dinge waren natürlich nicht Wirklichkeit, es konnte durchaus eine natürliche Erklärung für sie geben (oder er mochte verrückt sein), aber bis er des einen oder des anderen sicher war, würde er auf der Hut bleiben.
    Die Lücke zwischen den Hochhäusern der Ellis Street, in der sein Lieblingsbaum stand, war dunkel, doch die fingernden Zweigenden, die er über den Gehsteig streckte, schimmerten grün im grellen Licht der Straßenlampen.
    Ein halbes Dutzend Häuserblocks weiter, an der O’Farrell Street, sah er die modernistische Masse der St. Mary’s Cathedral, fahlgrau im Mondlicht, und dachte etwas beunruhigt an eine andere Lady.
    Er bog in die Gealy Street ein, ging an dunklen Schaufenstern, zwei erleuchteten Bars und dem grellen Licht vorbei, das aus dem gähnenden Rachen der De Soto-Garage fiel, dem Heim der blauen Taxis, und erreichte den von einer kleinen, weißen Markise überdachten Eingang mit der Hausnummer 811.
    In der Eingangshalle saßen zwei schäbig gekleidete Männer auf dem Rand der kleinen, hexagonalen Marmorbank unter den zwei Reihen der Briefkästen. Anscheinend betrunken. Sie folgten ihm mit den Blicken, als er in den Lift trat.
    Im sechsten Stock stieg er aus, schloss leise die Lifttüren (die äußere, feste Tür und die innere Falttür) und ging an dem schwarz gestrichenen Fenster und der schwarzen Tür des Besenschranks vorbei (die ein rundes Loch an der Stelle hatte, an der sich ein Drücker befinden sollte) und blieb vor der Tür seines Apartments stehen.
    Nachdem er ein paar Sekunden lang gelauscht hatte, ohne irgendein Geräusch zu hören, steckte er seinen Schlüssel ins Schloss, drehte ihn zweimal herum und trat hinein – mit einem Gefühl von Erregung und Angst. Dieses Mal schaltete er nicht die helle Deckenlampe ein, sondern blieb reglos in der Türöffnung stehen, lauschend und angespannt, und wartete darauf, dass sich seine Augen an das Fastdunkel gewöhnten.
    Der Raum lag in einem düsteren Grau. Vor dem offenen Fenster lag ein fahler Schimmer (ein helleres Grau, genau genommen) von Mondlicht und dem indirekten Schein der Straßenlampen. Alles war still, bis auf das leise, ferne Grollen und Rauschen des Verkehrs und das Pulsieren seines Blutes. Plötzlich ertönte aus dem Rohrsystem der Wasserleitung ein lautes, dumpfes Dröhnen, als ob jemand in einem der benachbarten Etagen einen Wasserhahn aufgedreht hätte. Es stoppte so plötzlich, wie es eingesetzt hatte.
    Mit einem plötzlichen Entschluss drückte Franz die Tür ins Schloss und tastete sich an der Wand entlang, um den hohen Kleiderschrank herum, in einem vorsichtigen, weiten Bogen an dem mit Papier und Büchern überladenen Schreibtisch vorbei zum Kopfende des Bettes, wo er die Lampe einschaltete. Er warf einen Blick auf sein ›Studentenliebchen‹, das schlank, dunkel und schweigend auf der Wandseite des Bettes lag, und sah dann zu dem offenen Fenster.
    Zwei Meter vom Fenster entfernt lag das lange Rechteck aus fluoreszierender roter Pappe auf dem Boden. Er trat darauf zu und hob es auf. Es war in der Mitte eingebeult, die Kanten waren ausgefranst. Er schüttelte den Kopf, lehnte es an die Wand und trat ans Fenster. Die beiden Längsränder des Kartons waren noch mit Reißzwecken an den Rahmen gepinnt. Die Vorhänge hingen glatt und ordentlich. Krümel und winzige Schnitzel eines fahlbraunen

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