Herrin der Falken - 3
Fußboden zu
der strahlenden Kinderfrau. »Das habe ich von Luciella erwartet«, sagte Romilly. »Sie haßt mich, stimmt’s? Das ist eine
Bosheit von der Art, wie Mallina sie fertigbrächte, nur weil sie
ein richtiges Pferd nicht reiten kann. Aber ich hätte nicht
geglaubt, daß du dich mit ihnen gegen mich verbünden würdest, Gwennis!«
»Aber, aber, so darfst du nicht reden.« Gwennis schnalzte
vorwurfsvoll mit der Zunge. »Wie kannst du so etwas über
deine freundliche Stiefmutter sagen? Ich versichere dir, nicht
viele Frauen sind zu ihren erwachsenen Stieftöchtern so gut
wie Lady Luciella zu dir und Mallina. Sie gibt euch schöne
Kleider, obwohl ihr beide hübscher seid als sie, und dabei weiß
sie, daß Darren einmal hier Herr sein wird und ihr Kind nur ein
jüngerer Sohn ist, nicht viel besser als ein Nedestro! Höre,
deine eigene Mutter hätte dir das Hosentragen schon vor drei
Jahren verboten. Nie hätte sie dich in dieser ganzen Zeit als
Mannweib herumlaufen lassen! Wie kannst du sagen, Lady
Luciella hasse dich?«
Mit brennenden Augen sah Romilly zu Boden. Es war die
Wahrheit. Niemand hätte liebevoller zu ihr sein können als
Luciella. Es wäre leichter gewesen, wenn Luciella ihr jemals die
geringste Unfreundlichkeit gezeigt hätte. Ich könnte mich gegen sie wehren, wenn sie grausam zu mir wäre. Was kann ich
jetzt tun?
Und Preciosa wartete auf sie. Dachte Gwennis wirklich, sie
würde ihren eigenen Falken dem Jungen des Falkenmeisters
überlassen? Nicht einmal Darren würde sie ihn geben! Mit vor
Wut zitternden Händen zog sie das verabscheute Kleid an,
einen fadenkahlen blauen Gabardin. Obwohl von Gwennis
verändert, war es zu eng in der Taille, so daß die Verschnürung
weit über ihrem Unterhemd klaffte. Immer noch besser, ich
reite in Röcken, als überhaupt nicht, sagte Romilly zu sich
selbst. Aber wenn sie glaubten, sie so leicht schlagen zu können, hatten sie sich geirrt!
Wird sie mich in diesem blöden Mädchenkleid überhaupt erkennen?
Wütend ging sie auf die Ställe und das Falkenhaus zu. Ein- oder zweimal stolperte sie über die lästigen Röcke und nahm daraufhin einen langsameren, damenhaften Gang an. Also Luciella wollte sie mit einem hübschen Kleid bestechen, um den Schlag zu mildern? Typisch Frau, sie mit einem albernen Trick hereinlegen zu wollen, statt ihr geradeaus zu sagen, sie dürfe nicht mehr in Hosen reiten!
Im Falkenhaus ging Romilly sofort zu dem Block, zog ihren alten Handschuh an und nahm Preciosa auf den Arm. Mit der freien Hand ergriff sie die zu diesem Zweck bereitliegende Spinnfeder und streichelte die Brust des Falken. Eine Berührung mit der Hand würde die Schutzschicht von den Federn streifen und sie beschädigen. Preciosa spürte Romillys Erregung und bewegte sich unruhig auf ihrem Handgelenk. Das Mädchen zwang sich zur Ruhe. Sie nahm das an der Wand hängende Federspiel und winkte dem Jungen Ker.
»Hast du frisches Fleisch für Preciosa?«
»Ja, damisela. Von einer eben für den Tisch getöteten Taube habe ich alle Innereien aufgehoben. Vor zehn Minuten waren sie noch im Bauch des Vogels«, antwortete Ker. Romilly schnupperte mißtrauisch an dem Fleisch. Dann band sie es an das Federspiel. Preciosa roch die Atzung, zuckte nervös und flatterte. Romilly sprach beruhigend auf sie ein. Beim Weitergehen mußte sie sich den Rock aus dem Weg treten. Im Stallhof löste sie die Fesseln und schwang das Federspiel hoch über ihren Kopf. Der Schwung, mit dem Preciosa sich in die Luft warf, stieß Romillys Hand nach unten. Das Falkenweibchen kreiste hoch am Himmel über dem Stallhof, stieß schnell auf das Federspiel nieder und schlug die Beute, fast noch bevor sie den Boden berührte. Romilly ließ sie eine Weile in Ruhe kröpfen. Dann rief sie sie mit der kleinen Falknerpfeife, die der Vogel mit seiner Nahrung in Verbindung bringen soll, und streifte ihr die Haube wieder über. Sie gab Ker das Federspiel und sagte: »Wirf du es, ich möchte sie fliegen sehen.“
Gehorsam nahm der Junge des Falkenmeisters das Federspiel und begann, es über seinem Kopf zu schwingen. Wieder ließ Romilly den Falken auf. Sie beobachtete, wie er hochflog und zum Klang ihrer Pfeife auf das Federspiel niederstürzte. Noch zweimal wurde die Übung wiederholt, bevor Romilly den Falken verkappte und zurück auf den Block setzte. Wieder und wieder streichelte sie ihn zärtlich mit der Spinnfeder, murmelte ihm sinnlose Worte der Liebe zu, spürte die Nähe und Zufriedenheit des satten Falken.
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