Herrin der Falken - 3
»Kommt, kommt, die Näherinnen warten auf euch.“
»Braucht Ihr mich noch, vai domna!« fragte Calinda.
»Nein, geht und ruht Euch aus, mestra – ich bin sicher, Ihr habt
es nach einem Vormittag mit meiner Brut nötig. Schickt zuerst
den Stallknecht nach Rael. Er muß seine neue Jacke heute
anprobieren, aber das kann warten, bis er mit seiner Reitstunde
fertig ist.«
Voller böser Ahnungen folgte Romilly ihrer Stiefmutter in den
Raum, wo die Näherinnen arbeiteten. Er war hell und luftig
mit breiten Fenstern und grünen Pflanzen – keine Blumen,
denn Luciella war eine praktische Frau, sondern Töpfe mit
Küchen- und Heilkräutern, denen die durch die Glasscheiben
fallenden Sonnenstrahlen einen süßen Duft entlockten. Luciellas Geschmack neigte zu Kräuseln und Volants. Aus einem
früheren Streit schloß Romilly, daß ihr Reitkleid, wenn Luciella es bestellt hatte, entsetzlich aufgedonnert sein würde. Doch
dann sah sie das Kleid. Es war aus dunkelgrünem Samt, und der
Schnitt betonte geschickt ihre Schlankheit. Dabei war es einfach, ohne anderen Aufputz als ein einziges weißes Band um
den Ausschnitt. Die Farbe war genau die ihrer grünen Augen
und ließ ihr kupfernes Haar leuchten. Romilly errötete vor
Vergnügen.
»Es ist wunderschön, Pflegemutter.« Sie hielt so still, wie sie
konnte, während die Näherinnen das Kleid an ihrem Körper
absteckten. »Es ist fast zu fein für mich!«
»Nun, du wirst ein gutes Kleid für die Beize und die Jagd
brauchen, wenn die Leute von Hohenklippen zum Mittsommerfest kommen«, sagte Luciella. »Zeig ruhig, was für eine
gute Reiterin du bist. Ich finde nur, du brauchst ein Pferd, das
für eine Dame besser geeignet ist als der alte Windracer. Ich
habe mit Mikhail wegen eines guten Pferdes für dich gesprochen – war da nicht eins, das du selbst trainiert hast?“
Romilly keuchte auf vor Begeisterung, und ihre Stiefmutter
lächelte. Dem Mädchen war erlaubt worden, ihrem Vater beim
Trainieren der drei edlen Rappen von den Lanart-Gütern zu
helfen, und sie gehörten zu den besten Pferden, die den Ställen von Falkenhof Ehre machten. Wenn ihr Vater zustimmte, daß sie eins dieser Pferde bekam – voll Freude und Entzücken stellte sie sich vor, wie sie auf einem der temperamentvollen Rappen über die Hügel galoppierte, Preciosa auf ihrem Handgelenk. Ihre spontane Umarmung verblüffte Luciella. »Oh, danke, ich
danke dir, Stiefmutter!«
»Es ist ein Vergnügen, dich ganz als Dame zu sehen.« Luciella
freute sich über den hübschen Anblick, den Romilly in dem
grünen Kleid bot. »Zieh es jetzt aus, mein Liebes, damit es
genäht werden kann. Nein, Dara«, wandte sie sich an eine der
Näherinnen, die Mallinas Kleid über ihren vollen jungen Brü
sten absteckte, »die Jacke da nicht so eng, das schickt sich nicht
für ein so junges Mädchen.«
Mallina schmollte: »Warum müssen alle meine Kleider wie
Kinderkittel geschnitten sein? Ich habe schon mehr Figur als
Romilly!«
»Das hast du wirklich«, bemerkte Romilly. »Wenn deine Titten noch weiter wachsen, kannst du dich als Amme verdingen.« Kritisch betrachtete sie Mallinas schwellenden Körper.
Das jüngere Mädchen zischte: »Ein Damenkleid ist an dich
verschwendet, du könntest ein Paar von Darrens alten Hosen
tragen! Du würdest am liebsten wie ein Stalljunge herumlaufen, in alten Ledernen, wie eine aus der Schwesternschaft vom
Schwert!«
»Kommt, kommt«, sagte Luciella friedlich. »Mach dich nicht
über die Figur deiner Schwester lustig, Romilly. Sie wächst
schneller als du, das ist alles. Und du bist auch still, Mallina.
Romilly ist jetzt erwachsen, und euer Vater hat strengen Befehl gegeben, daß sie nicht mehr mit Stiefeln und Hose im
Herrensitz reiten darf. Dafür bekommt sie ein richtiges Damenkleid und einen Damensattel. Zu Mittsommer werden die
Leute von Hohenklippen zur Beize und Jagd herkommen, vielleicht auch Aldaran von Scathfell mit seinen Söhnen und Töchtern und ein paar Leute von Storn-Höhe.«
Mallina jubelte – die Zwillingstöchter von Scathfell waren ihre
engsten Freundinnen, und während des Winters hatten schwere Schneefälle Falkenhof von Scathfell und Hohenklippen getrennt. Romilly empfand keine solche Freude. Jessamy und
Jeralda waren etwa in ihrem Alter, aber ähnlich wie Mallina, rund und weich, eine Beleidigung für jedes Pferd, das sie tragen mußte. Ihre Aufmerksamkeit galt viel mehr dem Sitz ihrer Reitkleider und den Ornamenten auf Sattel und Zügel als dem Wohlbefinden ihrer Pferde oder
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