Herrin der Falken - 3
Tramontana führten, in der schlechten Jahreszeit ein gefährliches Unternehmen war, auf das sich nur Wahnsinnige oder Verzweifelte einließen. Sicher fand sie in Nevarsin Arbeit als Lehrling eines Falkenmeisters oder als Stalljunge bei einem Schmied oder Pferdeverleiher – als Mädchen wollte sie sich nicht zu erkennen geben. Sie hatte ihr eigenes Heim selten verlassen, wo selbst die Küchenmädchen und Wäscherinnen freundlich behandelt wurden und unter dem Schutz von Domna Luciella standen. Aber schon die Art, wie sie auf diese Behandlung reagierten, zeigte, daß so etwas nicht häufig vorkam. Eine der Frauen, die jahrelang in einer Kneipe gearbeitet hatte, erzählte viele Geschichten über das, was einem da widerfahren konnte. Romilly zweifelte nicht an ihrer Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen und unerwünschte Hände von sich abzuwehren. Allein noch der niedrigste Stalljunge bekam mehr bezahlt als jede Köchin oder Kellnerin, und Romilly hatte wenige Talente, die sie über die Aufgaben eines einfachen Scheuermädchens hinausheben würden. Sie kannte sich nur mit Pferden und Falken und mit der Beaufsichtigung von Dienstboten aus. Schneiderinnen und Kinderfrauen, das wußte sie, erhielten höhere Löhne. Doch schon bei dem Gedanken, als Näherin zu arbeiten, mußte sie lächeln, und über eine Kinderfrau würden die Leute mehr zu erfahren wünschen, als sie bereit war mitzuteilen. Nein, wenn sie sich entschloß, den Winter in Nevarsin zu verbringen, würde sie dem äußeren Anschein nach ein Junge bleiben und sich Arbeit in einem Stall oder Falkenhaus suchen.
Auf diese Weise war sie wenigstens mit Pferden und Falken zusammen. Der Verlust Preciosas schmerzte sie immer noch. Aber ich bin froh, daß es geschehen ist, dachte sie grimmig. Sie zog in dem peitschenden Wind den Kopf ein und versteckte das Gesicht im Mantelkragen. Andernfalls hätte ich nie den Mut gehabt fortzulaufen! Ich wäre gehorsam geblieben und hätte vielleicht sogar Dom Garris geheiratet… und sie schüttelte sich vor Abscheu. Nun, das hatte sie hinter sich, auch wenn sie den Rest ihres Lebens als Junge verkleidet in den Ställen irgendeines Fremden arbeiten mußte!
Der Schnee ging allmählich in nassen, durchdringenden Regen über. Die Hufe des Pferdes rutschten und schlitterten auf dem steilen Pfad. Romilly ließ sich in Rapport sinken und spürte die Kälte des Windes, den unsicheren Boden, die Vorsicht, mit dem das Pferd die Hufe setzte. Der Regen gefror im Fallen; Romillys Mantel wurde steif vor Eis. Wirklich, sie mußten bald einen Unterschlupf finden.
Sie kamen an eine scharfe Biegung des Weges. Er teilte sich dort. Eine Abzweigung führte aufwärts durch dichte Bäume. Die andere war breiter und führte steil abwärts. Romilly glitt vom Rücken des Pferdes und verrenkte sich beinahe den Hals, um in irgendeiner Richtung den die Sicht verschleiernden Nebel zu durchdringen. Weiter unten sah sie nichts als ein Rinnsal, das sich über die Felsen neben dem Weg stürzte und verschwand. Weiter oben kam es ihr dagegen vor, als erkenne sie die Wände einer Art von Bauwerk, vielleicht einer Hütte für Hirten oder eines Schutzdachs für Tiere. Der breitere Weg mochte bergab zu einem Dorf oder einer Ansammlung von Talhöfen führen. Aber sicher war es nicht, und sie sah auch keine Lichter im Tal, und der Regen wurde immer heftiger. Also mußte sie hinauf, zu der Hütte, ganz gleich, wie primitiv diese war. Wenigstens würde sie sie vor Wind und Regen schützen. Romilly stieg nicht wieder in den Sattel. Auf einem so steilen Pfad kam das Pferd weit besser zurecht, wenn es ihr Gewicht nicht tragen mußte. Sie nahm den Zügel. Das Pferd riß den Kopf zur Seite, und sie sprach ihm begütigend zu. Wenn sie nur ihr eigenes Pferd hätte reiten können! Das hier war ihr fremd. Immerhin war es gefügig und sogar freundlich.
Durch Schnee und Regen wurde eine dunkle Wand deutlicher. Ja, es war irgendein Bauwerk, nicht groß, aber anscheinend wetterfest. Die Tür hing schief in den Angeln und gab ein lautes, protestierendes Quietschen von sich, als Romilly sie aufschob und eintrat.
»Wer ist da?« rief eine zitterige Stimme. Romillys Herz klopfte, und die Kehle wurde ihr eng vor Angst. So finster und baufällig die Hütte war, leer war sie nicht.
Romilly rief schnell: »Ich habe nichts Böses im Sinn, gute Frau. Ich hatte mich im Sturm verirrt, und der Regen gefriert. Darf ich eintreten?«
»Preis und Dank sei dem Lastenträger, daß du gekommen
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