Herrin der Falken - 3
betreten durfte, nicht einmal das Gästehaus. Aber was blieb ihr in ihrer Verkleidung übrig? Sie flüsterte ein Gebet: »Gesegneter Lastenträger, Heiliger Valentin, verzeiht mir, es war nicht meine Absicht, in diese Welt der Männer einzudringen, und ich schwöre, ich werde nichts tun, was Euch hier Schande machen würde.«
Es gäbe einen schrecklichen Skandal, wenn sie sich jetzt zu ihrem wirklichen Geschlecht bekannte. Warum nur waren die Frauen so streng ausgeschlossen? Fürchteten die Mönche, in der Anwesenheit von Frauen könnten sie ihr Keuschheitsgelübde nicht halten? Welchen Sinn hatte ihre Gelübde, wenn sie Frauen nur zu widerstehen vermochten, solange sie keine sahen! Und wie kamen sie auf die Idee, die Frauen hätten überhaupt ein Interesse daran, sie in Versuchung zu führen? Romilly betrachtete den dicken kleinen Mönch in seinem Kapuzenmantel und geriet in große Gefahr, loszukichern. Es würde schon mehr als die Nächstenliebe eines Heiligen erfordern, seine Häßlichkeit lange genug zu übersehen, um bei dem da einen Verführungsversuch zu machen!
Es waren geräumige Ställe für alle ihre Reittiere vorhanden und ein Raum, in dem Romilly Blocks und Recks für ihre Vögel fand.
»Du kannst in die Stadt gehen und Futter für sie kaufen.«
Orain gab ihr ein paar Kupferringe. »Aber sei rechtzeitig zum Abendessen zurück im Gästehaus. Wenn du möchtest, darfst du an den Abendgebeten teilnehmen. Es wird dir Freude machen, den Chor singen zu hören.«
Romilly nickte gehorsam. Innerlich war sie begeistert. Darren hatte von dem herrlichen Gesang des Nevarsin-Chors erzählt. Er war nicht musikalisch genug, daß er ihm in seiner Studentenzeit hätte beitreten können. Auch ihr Vater hatte es einen der Höhepunkte seines Lebens genannt, als er einem feierlichem Gottesdienst im Kloster beigewohnt und die Mönche singen gehört hatte. Romilly eilte in die Stadt. Sie war aufgeregt und fürchtete sich auch ein bißchen vor dem fremden Ort. Aber sie fand einen Vogelhändler, und als sie ihm ihre Wünsche darlegte, wußte er sofort die richtige Atzung für die Kundschaftervögel. Romilly hatte schon damit gerechnet, sie müsse einen stinkenden, halb verwesten Kadaver zurück durch die Stadt schleppen. Statt dessen sagte der Händler, es sei ihm ein Vergnügen, das Futter in den Ställen des Gästehauses abzuliefern. »Ihr seid bestimmt im Kloster untergebracht, junger Mann? Wenn Ihr wünscht, kann ich Euch jeden Tag geeignetes Futter für Eure Vögel bringen.«
»Ich werde meinen Herrn fragen«, antwortete Romilly. »Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben werden.« Sie hielt es für eine feine Sache, daß sie von solchen Dienstleistungen Gebrauch machen konnte. Aber als er ihr den Preis nannte, war sie etwas beunruhigt. Allerdings gab es keine Möglichkeit, daß sie selbst außerhalb der Stadtmauern auf die Jagd ging. Deshalb schloß sie den Handel für heute und morgen ab und bezahlte dem Mann, was er verlangte.
Auf dem Rückweg durch die grauen Straßen der Stadt mit den sich vornüberneigenden Häusern und den erdrückenden Mauern ringsumher fürchtete Romilly sich ein bißchen. Es kam ihr zu Bewußtsein, daß sie den Kontakt mit Preciosa verloren hatte, bevor sie in das Tor von Nevarsin einzogen. Das Klima hier war zu kalt für einen Falken… war Preciosa in eine wärmere Gegend zurückgekehrt? Der Falke konnte in der Stadt keine Nahrung finden. Aas lag genug in den Straßen herum, wie Romilly aus dem Gestank schloß, aber es gab kein frisches Fleisch für einen Falken. Hoffentlich war Preciosa in Sicherheit…
Im Augenblick trug sie die Verantwortung für die Kundschaftervögel. Es gab da einen großen, gepflasterten Hof, auf dem sie sie fliegen lassen konnte. Romilly übte sie an den langen Leinen – sie kreischten jetzt weniger, und es war deutlich zu merken, daß sie sich allmählich an ihre Stimme und ihre Berührung gewöhnten. Da entdeckte sie ein Gruppe kleiner Jungen, die sich an die Hofmauer drückten. Alle trugen sie die faltigen Kapuzengewänder des Klosters. Aber, so dachte Romilly, für Mönche waren sie noch zu jung. Es mußten Studenten sein, die wie Ruyven und Darren zur Ausbildung hergeschickt worden waren. Eines Tages würde vielleicht auch ihr Bruder Rael unter ihnen sein. Wie mir Rael fehlt!
Die Jungen betrachteten die Vögel mit regem Interesse. Einer, kühner als die übrigen, rief ihr zu: »Wie bringt Ihr es fertig, sie anzufassen, ohne verletzt zu werden?« Er löste sich aus der
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