Herrin der Falken - 3
fortzuführen. Und als sie mit dem Atzen der Vögel halbwegs zu Ende war, sah sie, daß die Stalltür sich öffnete und Orain in den Hof kam. Sie winkte ihm, sich zurückzuziehen. Er achtete nicht darauf, trat näher und fragte: »Noch nicht fertig mit den Vögeln, mein Junge? Beeile dich, ich brauche deine Begleitung für etwas, das ich in der Stadt erle
digen muß.«
Caryl drehte sich um und erkannte ihn. Seine Augen wurden
groß.
»Mein Lord«, er machte höflich eine kleine Verbeugung, »was
tut Ihr hier?«
Orain zuckte zusammen und antwortete nicht gleich. Schließ
lich sagte er: »Ich habe hier Zuflucht gesucht, Junge, da ich an
dem Hof, wo dein Vater den König beherrscht, nicht länger
willkommen bin. Willst du nun Alarm schlagen?“
»Ganz gewiß nicht«, erklärte der Junge mit Würde. »Unter
dem Dach Sankt Valentins ist sogar ein Verurteilter sicher,
Sir. Alle Männer, die hier wohnen, sind Brüder. Soviel haben
die Cristoferos mich gelehrt. Rumal, wenn du mit deinem
Herrn gehen willst, werde ich die Vögel für dich auf die Recks
setzen.«
»Danke, das erledige ich schon.« Romilly nahm Temperentia
auf die Faust, und Caryl folgte ihr mit dem zweiten Vogel auf
beiden Händen. Er flüsterte ihr zu: »Wußtest du, daß er einer
von Carolins Männern ist? Tatsächlich sind sie hier nicht sicher.“
Romilly entgegnete unwirsch: »Ich stelle meinen Vorgesetzten keine Fragen. Und du solltest zur Chorprobe laufen,
Caryl.«
Er biß sich errötend auf die Lippe, wandte sich ab und rannte
barfuß durch den Schnee davon. Romilly holte tief Atem. Sie
wollte etwas zu Orain sagen, aber seine Hand legte sich mit
eisernem Griff um ihre Schulter.
»Nicht hier. Außerhalb dieser Mauern. Sie mögen jetzt Ohren
haben, und diese Ohren gehören einem gewissen Lord.“
Stumm beendete Romilly ihre Arbeit mit den Kundschaftervö
geln und folgte Orain durch die Tore des Klosters. Die Straße lag weiß und still vor ihnen, jeder Laut durch den dicken
Schnee gedämpft. Endlich fragte Orain: »Der Hastur-Welpe?« Romilly nickte. Nach einer Weile berichtete sie so leise, daß
Orain sich nahe zu ihr beugen mußte: »Das ist noch nicht das
Schlimmste. Sein Vater – Lyondri Hastur – ist vor der Stadt
und wird ihn zum Fest besuchen.«
Orain schlug sich mit der geballten Faust in die Handfläche.
»Verdammt! Und Zandru weiß, der gehört nicht zu denen, die
das Asylrecht achten! Wenn er seine Augen…« Orain verstummte. Endlich murmelte er: »Warum mußte Dom Carlo
ausgerechnet jetzt weggehen? Wir werden vom Pech verfolgt!
Ich will versuchen, ihm eine Botschaft zu senden.«
Schweigen. Nicht einmal ihre Schritte waren auf der verschneiten Straße zu hören. Orain nahm sich zusammen. »Gehen wir
hinunter in die Kneipe. Nach einer solchen Nachricht brauche
ich etwas zu trinken, und dort gibt es zur Feier des Tages
gewürzten Apfelwein, so daß auch du trinken darfst.«
Romilly fragte vernünftig: »Sollten Alaric und die anderen
nicht erfahren, daß der Hastur-Lord kommen wird?“
»Ich werde es ihnen sagen«, antwortete Orain. »Reden wir im
Augenblick nicht mehr darüber.«
In der Wirtschaft, wo Orain sie vor ein paar Tagen das Pfeilwerfen gelehrt hatte, bestellte er Wein und für Romilly heißen
Apfelwein, der süß nach Gewürzen duftete. Sie trank ihn
dankbar und nahm seine Einladung zu einem zweiten Becher
an. Orain sagte: »Ich habe ein Geschenk für dich. Der schmutzige Mantel, den du trägst, würde sich nicht einmal für den
Sohn eines Stallknechts schicken. Ich habe einen an einem
Marktstand gefunden. Er ist alt und abgetragen, aber ich glaube, er wird dir passen.« Er winkte der Kellnerin. »Bringt mir
das Paket, das ich gestern hiergelassen habe.«
Er schob es ihr über den Tisch zu. »Ich wünsche dir eine gute
Mittwinternacht, und Avarra schütze dich, Sohn.«
Romilly löste die Verschnürung. In dem Paket war ein grüner
Mantel aus Rabbithorn-Wolle, fein bestickt und mit Riegeln
von gutem Leder besetzt. Er mußte sehr alt sein, denn die
Ärmel waren angeschnitten, und diese Mode hatte sie auf
Porträts von ihrem Urgroßvater in der Großen Halle zu Falkenhof gesehen. Aber er war herrlich gefüttert und bequem.
Romilly warf den schäbigen alten Mantel beiseite, den sie auf
der Flucht vor Rory mitgenommen hatte, und zog den neuen
an. Verlegen gestand sie: »Ich habe kein Geschenk für Euch,
Master Orain.«
Er legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ich möchte nichts
von dir, Sohn, als daß du mich umarmst und küßt wie
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