Herrin der Falken - 3
Carolin zu warnen, daß der kleine Caryl im Kloster ihn erkennen würde. Romilly traute dem Jungen nicht zu, Carolin zu verraten. Er hatte gesagt, der König sei freundlich zu ihm gewesen, aber natürlich gehörte seine Loyalität seinem eigenen Vater. Sie stellte Orain keine Fragen. Es war nicht ihre Angelegenheit, und sie war es ganz zufrieden, nichts Näheres zu wissen.
Gelegentlich fragte sie sich, wenn ihr Vater sie mit einem Mann wie Orain hätte verheiraten wollen, ob sie dann eingewilligt hätte. Sie glaubte schon. Aber auch das war zweifelhaft. Denn dann wäre ich zu Hause geblieben und verheiratet worden und hätte diese wundervolle Freiheit in Stadt und Kneipe, in Wald und Feld nie kennengelernt, hätte nie selbständig gearbeitet und Geld in der Tasche gehabt, niemals gemerkt, daß ich nicht frei war, nie einen Kundschaftervogel fliegen lassen.
Die großen häßlichen Vögel waren ihr ans Herz gewachsen. Jetzt kröpften sie so zutraulich auf ihrer Hand wie ein Sperlingsfalke oder der Käfigvogel eines Kindes. Entweder wurde ihr Arm stärker, oder sie gewöhnte sich an ihr Gewicht. Jedenfalls konnte sie sie jetzt beträchtliche Zeit halten. Ihre Anhänglichkeit und die Freude, die sie im Rapport mit ihnen empfand, ließen sie mit Bedauern an Preciosa denken. Würde sie den Falken jemals wiedersehen?
Die anderen Männer sah sie selten. Sie schlief von ihnen getrennt und begegnete ihnen nur morgens und abends, wenn sie alle zu den Mahlzeiten im Gästehaus des Klosters zusammentrafen. Das war ihr nur recht. Sie fürchtete sich immer noch ein bißchen vor Alaric, und auch die anderen kamen ihr merkwürdig und fremd vor. Manchmal hatte es den Anschein, als sei der einzige Mensch, mit dem sie in diesen Tagen sprach, der kleine Caryl – abgesehen von dem Mann, der das Futter für die Vögel, Pferde und Chervines lieferte. Caryl kam, sobald er dem Unterricht für ein paar Minuten entrinnen konnte, um sich die Vögel anzusehen, sie zu halten, liebevoll mit ihnen zu sprechen. Romilly war immer ein bißchen nervös in seiner Gegenwart. Wie leicht konnte er sie gedankenlos mit vai domna ansprechen – es war eine schwere Last für ein Kind, dieses Geheimnis zu bewahren. Einmal kam Orain in die Kapelle, um sich den Gesang anzuhören. Er setzte sich ganz hinten in den Schatten, und Romilly sagte sich, der kleine Junge auf der beleuchteten Empore werde das Gesicht eines einzelnen Mannes im dunkelsten Teil der Kapelle sicher nicht erkennen. Aber das Kind kannte Carolin, daher mochten ihm auch dessen Gefolgsleute nicht unbekannt sein. Sie stand auf und ging leise hinaus. Denn sie fürchtete, der kleine Telepath werde ihre Aufregung wahrnehmen und den Grund dafür in ihren Gedanken lesen.
Die Mittwinternacht war nahe. Auf dem Marktplatz tauchten Stände voller Gewürzbrot, verziert mit Kupferfolie und buntbemaltem Spielzeug auf, und die Zuckerbäcker schmückten ihre Auslagen mit Sternen, die aus Nußpaste geschnitten waren. Romilly empfand Heimweh bei dem Duft des frischgebakkenen Gewürzbrots. Luciella buk es immer selbst. Sie sagte, den Dienstboten solle zu dieser Jahreszeit nicht noch zusätzliche Arbeit aufgebürdet werden. Fast bedauerte Romilly es, ihr Zuhause verlassen zu haben. Aber dann fiel ihr ein, daß sie das Fest auf keinen Fall daheim verbracht hätte, sondern in Scathfell als Frau von Dom Garris – und mittlerweile sähe sie aus wie Darissa, schwanger mit ihrem ersten Kind, dick und häßlich! Nein, lieber war sie hier. Sie wünschte sich nur, sie könnte Rael ein Geschenk schicken oder ihm diese herrlichen Auslagen zeigen.
Als sie am Tag vor dem Fest erwachte, blies der Wind Schnee durch die Ritzen des Stalles, in dem sie schlief, doch ihr war in dem hochaufgeschichteten Heu warm. Vom Wall um die Welt heulte ein Mittwintersturm heran. Auf dem Hof des Klosters lag der frische Pulverschnee knietief. Romilly zog beide Paar Strümpfe und eine zusätzliche Jacke an. Trotzdem zitterte sie, als sie hinausging, um sich am Brunnen zu waschen. Die kleinen Novizen und Studenten liefen jedoch barfuß durch den Schnee, und sie staunte darüber, daß sie dabei lachten und schwatzten und sich mit Schneebällen bewarfen. Sie sahen rosig und warm aus, während ihre eigenen Hände blau vor Kälte waren.
Sie ging in den Stall der Reittiere und blieb bestürzt stehen. Dom Carlos Pferd war nicht da! War es gestohlen worden?
Oder war Dom Carlo in diesem Unwetter ausgeritten? Es schneite immer noch. Hin und wieder
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