Herrin der Falken - 3
deinen
Vater, wäre er heute hier.«
Errötend umarmte Romilly ihn und berührte mit ihren Lippen
vorsichtig seine Wange. »Ihr seid sehr gut zu mir, Sir. Ich
danke Euch.«
»Nichts zu danken – jetzt bist du gekleidet, wie es zu deinem
roten Haar und deinen Manieren eines Edelmannssohns paßt.“ Es schwang gerade genug Ironie in diesen Worten mit, daß
Romilly sich fragte: Wußte er, daß sie eine Frau war? Einmal
war sie überzeugt gewesen, daß Dom Carlo es wußte.
»Aus dem alten Ding kannst du eine Pferdedecke machen.“
Orain wies den Schankjungen an, den alten Mantel als Bündel
zu verschnüren. Romilly hätte ihn lieber weit weggeworfen.
Aber bei diesem Wetter brauchten die Pferde Decken, und die,
die sie hatte, war für ein wärmeres Klima gedacht. Ihr Pferd
würde ihr in diesem Mittwintersturm für die zusätzliche Wärme dankbar sein.
An diesem Abend saßen nur wenige Gäste in der Kneipe. Der
heranziehende Sturm und der morgige Feiertag hielten die
meisten Männer am eigenen Herd fest, wie Romilly annahm.
Nach dem Essen fragte Orain: »Sollen wir nun Pfeile werfen?“ »Ich bin kein so guter Spieler, daß es für Euch der Mühe wert
wäre«, antwortete sie, und Orain lachte. »Darauf kommt es
nicht an! Nun mach schon.«
Sie warfen Pfeile und tranken zwischendurch aus ihren Bechern, und so verging die Zeit. Plötzlich erstarrte Orain.
»Ihr seid dran«, sagte Romilly.
»Wirf du – ich bin gleich zurück«, antwortete Orain mit undeutlicher Aussprache. Romilly dachte: Er kann unmöglich so
früh schon betrunken sein! Doch als er wegging, schwankte er,
und einer der wenigen Gäste brüllte freundschaftlich: »So früh
am Mittwinterabend schon betrunken? Dann wirst du am Festtag selbst den Wein nicht bei dir behalten können, Mann!«
Ob ihm schlecht ist? Soll ich gehen und ihm helfen? Während der Zeit in der Stadt hatte Romilly es sorgfältig vermieden, die öffentliche Latrine hinter jeder Kneipe aufzusuchen – das war der einzige Ort, wo sie unter Umständen entdeckt werden konnte. Aber Orain war gut zu ihr gewesen. Wenn er Proble
me hatte, verdiente er gewiß ihre Hilfe.
Eine leise Stimme in ihren Gedanken sagte: Nein. Bleib, wo du
bist. Verhalte dich, als sei alles normal. Da Romilly an den
Gebrauch ihres eigenen Laran noch nicht gewöhnt war – und
sie geriet selten in so engen Kontakt mit den Gefühlen anderer
Menschen, obwohl sie den Rapport mit ihren Vögeln jetzt als
selbstverständlich betrachtete –, war sie sich nicht sicher, ob
das tatsächlich eine Botschaft oder eine Stimme aus ihrem
eigenen Inneren war, aber sie gehorchte ihr. Keck zog sie die
Aufmerksamkeit auf sich, indem sie ausrief: »Wer möchte eine
Runde mit mir spielen, da der Alkohol meinen Freund besiegt
hat?« Zwei Bürger der Stadt standen auf. Sie forderte sie
heraus und spielte so schlecht, daß sie bald verloren hatte und
ihnen eine Runde spendieren mußte. Ihr war, als bewege sich
etwas in der dunklen Ecke ganz hinten. Hatte Orain den Raum
gar nicht verlassen und sich nur zurückgezogen? Mit wem
sprach er da? Romilly hielt das Spiel in Gang. Unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung gelang es ihr, sich nicht umzudrehen und nach der zweiten Gestalt auszuspähen, hochgewachsen und anmutig, das Gesicht von einer Kapuze überschattet, die sich leise Orain näherte. Aber als habe sie Augen
im Hinterkopf, sah sie es, hörte das Flüstern… Ihr Rückgrat
prickelte, und sie meinte jeden Augenblick, einen Aufschrei,
Stimmen, Rufe zu vernehmen. Heiliger Lastenträger, dessen
Tag heute ist, sag mir, wie bin ich in diese Machenschaften
verwickelt worden, als sei es für mich von Interesse, welcher
König auf dem Thron der Hali’imyn sitzt? Verdammt seien sie
beide, der vertriebene König und der Usurpator. Warum sollte
ein guter Mann wie Orain seinen Hals in die Schlinge stecken,
weil dieser oder jener den Thron der Hasturs innehat?
Wenn meinem Freund ein Leid geschieht, werde ich … Ja, was
konnte sie tun? Anders als ihre Brüder verstand sie nichts vom
Waffenhandwerk, sie war hilflos. Wenn ich heute nacht lebend
davonkomme, schwor sie sich, werde ich Orain bitten, mir
etwas von der Fechtkunst beizubringen. Aber sie lachte und rief: »Gut geworfen, peng ins Katzenauge!« und warf ihren eigenen Pfeil beinahe aufs Geratewohl. Zu ihrer Überraschung
landete er nahe dem Schwarzen.
»Trinkt aus, junger Mann«, sagte der Mann, der verloren
hatte, und stellte einen Krug Wein vor sie hin. Romilly trank
tollkühn. Der Kopf
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