Herrin der Falken - 3
rieselten Schneeflocken von dem überbürdeten Himmel. Gerade warf sie den Tieren ein paar Gabeln duftendes Heu vor, als Orain hereinkam. »Dom Carlos Pferd –«, platze sie heraus.
»Still, Junge«, sagte er mit leiser Stimme. »Nicht einmal vor den Männern! Sein Leben könnte in deinen Händen liegen. Nicht ein Wort!«
Romilly nickte, und er fuhr fort: »Guter Junge. Komm heute mittag mit mir in die Stadt. Wer weiß, vielleicht habe ich ein Mittwintergeschenk für dich, der du fern von Heim und Familie bist.« Es war, als habe er ihre Gedanken gelesen. Romilly wandte sich ab. »Ich erwarte keine Geschenke, Sir«, erklärte sie steif. Was wußte er, was hatte er erraten? Aber er grinste nur.
»Vergiß es nicht, heute mittag!« Damit ging er.
Mittags versuchte Romilly im tiefen Schnee, die Kundschaftervögel vor der Atzung dazu zu bringen, ein bißchen zu fliegen; sie bekamen bei diesem Wetter viel zuwenig Bewegung. Als sie ihnen die Leinen anlegte, kreischten sie rebellisch. Der immer noch fallende Schnee paßte ihnen gar nicht. Auf den Pflastersteinen lag der Schnee so hoch, daß er Romilly über die Stiefelschäfte reichte und auf den Innenseiten niedertröpfelte. Ihre Füße waren kalt und ihre Finger steif. Ihr war recht verdrießlich zumute, und nicht einmal das fröhliche Gesicht des kleinen Caryl vermochte ihre Stimmung zu heben. Sie dachte: Bei diesem Wetter wäre es ganz angenehm, als Dame am Feuer zu sitzen und nichts weiter zu tun zu haben, als zu sticken und Gewürzbrot zu backen! Caryl trug nur ein ärmelloses dünnes Jäckchen und stand barfuß im Schnee. Brummig fragte Romilly: »Frierst du nicht?«
Lachend schüttelte er den Kopf. »Als erstes bringen uns die Mönche bei, wie wir uns von innen erwärmen, durchs Atmen. Einige der älteren Mönche können sogar im Wasser des Brunnens baden und dann ihre Kleider durch die Körperwärme trocknen. Das ist jedoch ein bißchen mehr, als ich mir zutrauen würde. Die ersten zehn Tage, bevor ich es gelernt hatte, war mir kalt, danach nie mehr. Armer Rumal, du frierst – ich wollte, ich könnte es dich lehren.« Er streckte den Arm nach Prudentia aus und sagte ernsthaft: »Komm, Vögelchen, du mußt fliegen. Ich weiß, du magst den Schnee nicht, aber es ist nicht gut für dich, wenn du die ganze Zeit auf deiner Reck sitzt. Deine Flügel sollen doch nicht schwach werden.“
Prudentia hob ab und kreiste am Ende der Leine. Caryl warf das Federspiel und beobachtete, wie sie niederstürzte. »Sieh nur, es macht ihr Spaß, damit zu spielen, sogar im Schnee! Sieh dir das nur an!«
»Du bist glücklich«, sagte Romilly sauer. »Gefällt dir der
Sturm so gut?«
»Nein, ich wäre gern draußen, aber bei diesem Wetter muß ich
drinnen bleiben, und der Fechtmeister kann nicht kommen, so
daß ich eine Unterrichtsstunde versäume«, antwortete der Junge. »Aber ich freue mich, weil morgen Feiertag ist und mein
Vater mich besuchen kommt. Mir fehlen mein Vater und
meine Brüder, und Vater wird mir bestimmt ein schönes Geschenk mitbringen. Ich bin zwölf Jahre alt, und er hat mir ein
gutes Schwert versprochen. Vielleicht bekomme ich es nun als
Mittwintergeschenk. Und er geht immer mit mir in die Stadt,
damit ich mir Gewürzbrot und Süßigkeiten kaufen kann, und
meine Mutter schickt mir jedes Jahr zu Mittwinter einen neuen
Mantel. Ich habe sehr fleißig gelernt, weil ich möchte, daß er
zufrieden mit mir ist.«
Lyondri Hastur? Hier im Kloster? Romillys erster Gedanke
galt Orain und Dom Carlo, ihr zweiter dem König. Sich zur
Ruhe zwingend, fragte sie: »Ist dein Vater schon da?“
»Nein, aber er kommt zum Fest, falls das Wetter ihn nicht eine
Tagesreise von hier festhält«, erzählte der Junge. »Und Vater
fürchtet sich überhaupt nicht vor Stürmen! Er hat etwas von
der alten Delleray-Gabe, er kann das Wetter beeinflussen. Du
wirst sehen, Vater sorgt dafür, daß es noch vor heute abend zu
schneien aufhört.«
»Das ist ein Laran, von dem ich noch nie gehört habe«, meinte
Romilly. »Besitzt du es auch?«
»Ich glaube nicht«, sagte das Kind. »Ich habe nie versucht, es
anzuwenden. Willst du mich Temperentia fliegen lassen, während du Diligentia nimmst?«
Sie gab dem Kind die Leine und versuchte, sich ihre Aufregung
nicht anmerken zu lassen. Auch Alaric mußte gewarnt werden,
oder würde er versuchen, Rache an seinem Feind zu nehmen, den er als Mörder seiner Frau und seines Kindes betrachtete? Romilly machte es Mühe, die Unterhaltung mit dem kleinen Jungen
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