Herrin der Falken
Mädchen kann kein Falkenmeister sein, nicht wahr? Also, wirst du eines Tages meine Falkenmeisterin werden?«
Sie antwortete freundlich: »Ich weiß nicht, wo jeder von uns sein wird, wenn dieser Krieg vorüber ist, Caryl. Es wäre mir ein Vergnügen, dich alles zu lehren, was ich über Falken weiß. Doch vergiß nicht, vieles, was ich weiß, kann nicht gelehrt werden. Du mußt es irgendwie in dir selbst finden, in deinem
Herzen und deinem Laran.« Flüchtig kam ihr zu Bewußtsein, daß sie sich mit diesem fremden Wort jetzt ganz vertraut fühlte. »Dann erkennst du, was die Vögel brauchen, und wirst sie lieben.«
Sie konnte sich gut vorstellen, daß dieser kleine, weise Junge mit seiner Sensibilität gegenüber Menschen und Tieren, mit dem Ernst der Mönche, von denen er erzogen worden war, und dem Charme der Hastur-Sippe eines Tages König sein würde. Einen Augenblick lang sah sie eine Krone über seinen rötlichen Locken schimmern – und dann schloß sie die unerwünschte Vision aus. Daß sie sie auszuschließen vermochte, so überlegte sie, bewies, wie schnell sie ihre Gabe handhaben lernte.
Hatte ihr Vater so zu überleben gelernt, außerhalb eines Turms, indem er all das Laran verbannte, für das er beim Trainieren seiner Pferde keine Verwendung hatte? Und könnte sie es aushalten, sich von diesem neuen Teil ihres Ichs abzulösen? War es schwerer, dieses Laran zu besitzen oder es wieder aufgeben zu müssen? Es war eine schreckliche Gabe, die einen Menschen schwer belastete. Jetzt verstand sie die alten Geschichten der Berge, in denen Menschen wahnsinnig geworden waren, als ihr Laran über sie kam.
Und wie konnte Caryl König werden? Sein Vater war kein König, sondern der geschworene Gefolgsmann Dom Rakhals, und ob Rakhal oder Carolin diesen Krieg gewann, Lyondri Hastur kam nicht auf den Thron. Oder würde er an Rakhal ebenso wie an Carolin zum Verräter werden, getrieben von dem Ehrgeiz, eine Dynastie seines eigenen Blutes zu gründen?
»Romilly… Romy! Bist du im Reiten eingeschlafen?« Caryls fröhliche Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Darf ich versuchen, ob Preciosa für mich fliegt? Wir sollten ein paar Vögel zum Abendessen haben, nicht wahr?«
Romilly lächelte den Jungen an.
»Wenn sie für dich fliegt, sollst du sie auflassen«, stimmte sie zu. »Nur kann ich nicht versprechen, daß sie für irgendwen außer mir fliegt. Du mußt jedoch Dame Jandria fragen, ob wir Vögel zum Abendessen brauchen. Sie, nicht ich, führt diese Gruppe.«
»Verzeihung«, sagte Caryl der Form halber, aber ohne Reue. »Es ist schwer, nicht zu vergessen, daß sie eine Edelfrau ist, und ich denke nicht von selbst daran, sie um Erlaubnis zu fragen. Bin ich dagegen mit dir zusammen, ist mir immer bewußt, daß du eine von der Hastur-Sippe bist.«
»Das bin ich nicht«, wehrte Romilly ab, »und Janni ist Lord Orains Cousine, falls du das noch nicht wußtest. Deshalb ist ihr Blut so gut wie meines.«
Plötzlich wirkte Caryl verängstigt. »Ich wollte, das hättest du mir nicht gesagt!« stieß er hervor. »Denn damit gehört sie zu den schlimmsten Feinden meines Vaters, und ich möchte nicht, daß er sie haßt.« Romilly verwünschte sich. Schnell erklärte sie: »Der Rang hat in der Schwesternschaft keine Bedeutung, und Jandria hat auf die Privilegien ihrer edlen Geburt verzichtet. Das habe ich übrigens auch getan, Caryl.« Ihr fiel auf, daß er erleichtert dreinblickte, war sich jedoch nicht ganz klar, warum.
»Ich werde Jandria fragen, ob wir Wild für den Kochtopf brauchen«, schlug sie vor, »und du sollst Preciosa auflassen, wenn sie auf deinen Befehl fliegt. Sicher hat Jandria nichts dagegen, wenn du einen Vogel für dein eigenes Abendessen erbeuten willst, solange du nicht eine von uns drankriegst, ihn für dich zu rupfen und zu braten.«
»Das kann ich allein«, behauptete Caryl stolz. Dann grinste er und senkte den Blick. »Wenn du es mir zeigst«, setzte er kleinlaut hinzu. Romilly kicherte, und Caryl stimmte mit ein. »Ich will dir helfen, den Vogel zu braten, wenn ich etwas abbekomme. Abgemacht?«
Am dritten Abend danach ritten sie am Ufer eines Sees entlang, der sich zwischen die Hügel schmiegte. Caryl wies auf ein großes Haus, nicht ganz ein Schloß, am Ende des langen Tals.
»Da liegt Hali und dort meines Vaters Burg.« Romilly fand sie einem Palast ähnlicher als einer Festung, aber sie sprach es nicht aus. Caryl sagte: »Ich freue mich so darauf, meinen Vater und meine Mutter
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