Herrin der Falken
denn so, das hatte Caryl ihr gesagt, wurden sie genannt –, grün und fruchtbar mit blühenden Büschen auf den Feldern und Bäumen, die nicht einmal Schneeschoten für die Nachtblüten hatten. Am Wegrand leuchteten die Blumen rot und blau und silber-golden, und die rote Sonne, warm und riesig an diesem südlichen Himmel, warf purpurne Schatten. Die Luft selbst schien süß und euphorisch zu sein.
Caryl war in Ekstase und machte Romilly auf Landmarken aufmerksam. »Ich hatte nicht damit gerechnet, vor dem nächsten Mittsommer heimzukommen! Oh, ich freue mich so, daß es nach Hause geht!«
»Und dein Vater hat dich aus diesem warmen und angenehmen Land in den Schnee von Nevarsin geschickt? Er muß in der Tat ein guter Cristofero sein.«
Caryl schüttelte den Kopf, und in diesem Augenblick wirkte sein Gesicht distanziert, verschlossen, beinahe erwachsen. Er antwortete leise: »Er dient dem Herrn des Lichts, wie es sich für einen Hastur ziemt.«
Warum dann – Romilly wäre die Frage beinahe hinausgerutscht, aber sie hatte gelernt, dem Jungen keine Fragen über seinen Vater zu stellen. Er las es jedoch in ihren Gedanken. »Die Cristoferos in Nevarsin sind gelehrte Männer und gute Männer«, erklärte er schließlich. »Seit die Hundert Königreiche geschaffen wurden, hat es Krieg und Chaos im Tiefland gegeben, und klein ist das Wissen, das man dort erwerben kann. Mein Vater wünschte, daß ich in Frieden lernte, weit weg vom Krieg und sicher vor den Fehden, die die Abkömmlinge Hasturs entzweien. Er teilt den Glauben der Bruderschaft nicht, doch er achtet ihre Religion und ihre Zurückhaltung von jedem Streit.«
Er verstummte, und Romilly ritt weiter, ohne ihn in seinen Gedanken zu stören. Welche Szenen von Kampf und Plünderungen hatte dieses Kind gesehen, fern von den schützenden Bergen, wo die Menschen sicher in ihren festen Burgen lebten? Sie hatte in ihrer friedlichen Heimat Geschichten über den Krieg gehört und erinnerte sich an die Schlachten, von denen dieses grüne und fruchtbare Land verwüstet worden war. Noch jetzt schien es für ihr überempfindliches Wahrnehmungsvermögen unter der roten Sonne mit schwarzem Blut befleckt zu sein, der Boden selbst schrie vor Schmerz über das Niedermetzeln der Unschuldigen und die von den Armeen niedergetretenen Saaten. Sie erschauerte, und dann verblaßte das Bild. Romilly erkannte, daß sie die Erinnerungen des Kindes geteilt hatte.
Sein Vater hat wohlgetan, daß er ihn in die Sicherheit der fernen Stadt des Schnees schickte. Eine Zeit der Ruhe sollte die Wunden eines Kindes mit Laran heilen, in dessen Seele sich das ganze Entsetzen des Krieges eingebrannt hatte. Mit heftigem Heimweh war Romilly dankbar für ihre friedliche Kindheit und die hartnäckige Neutralität des MacAran, der für keine der Parteien, die das Land mit ihrer Eroberungslust verheerten, Partei ergriff. Wie lautete sein Losungswort? In die tiefste Schmiede ihres Gottes Zandru mit ihnen beiden… Oh, Vater, werde ich dich jemals wiedersehen?
Caryl ritt schweigend neben ihr, eingehüllt in seine eigene Pein, unfähig, ihre zu erkennen, oder zumindest blind von der Anstrengung, sich davor abzuschirmen. Ist es soweit mit mir gekommen, daß ich Trost bei einem zwölfjährigen Kind suche,
nicht viel älter als mein kleiner Bruder, weil ich das Schicksal nicht zu ertragen vermag, das ich mir selbst gewählt habe? Sie befand sich unter Fremden, und ihr schoß die Frage durch den Kopf, ob jede dieser Frauen ihren Teil an der Bürde trug, die der Menschheit auferlegt ist. Rufen die Menschen deswegen den Lastenträger an, als sei er nicht bloß ein großer Lehrer der Weisheit, sondern ebenfalls ein Gott – damit wir Götter haben, die unsere Lasten tragen, weil sie uns sonst zu schwer sind?
Sie ertrug den Kummer in Caryls Gesichtchen nicht. Sie selbst war eine erwachsene Frau und konnte ihre Bürde tragen, aber er war noch ein Kind und sollte es nicht müssen. Behutsam fragte sie: »Soll ich Preciosa vom Himmel rufen, damit sie mit dir reitet? Ich glaube, sie ist einsam.« Und als sie dem Falken pfiff und ihn auf Caryls Sattel setzte, wurde sie dadurch belohnt, daß der unkindliche Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand und er wieder zum Jungen wurde, der voll Freude beobachtete, wie ein Falke auf seine Hand flog.
»Wenn dieser Krieg vorbei ist, Romy, und wieder Frieden im Land herrscht, wirst du dann mein Falkenmeister werden und mich alles über die Ausbildung von Falken lehren? Aber nein, ein
Weitere Kostenlose Bücher