Herrin der Falken
kurzen Blick, der das Mädchen an ihren gefesselten, schwermütigen Falken denken ließ: »Orain ist in diesem Ort aufgewachsen. Und jetzt wird viele Jahre lang kein Mensch mehr darin leben können. Die Götter mögen Lyondri und seine teuflischen Waffen vernichten!«
Romilly streifte Caryl mit einem schnellen Blick. Entweder hatte er es nicht gehört, oder er tat doch so. Welch schwere Bürde mußte dieses Kind tragen!
An diesem Abend schlugen sie das Lager ziemlich früh auf. Während die Frauen das Zelt herrichteten, rief Janni Romilly zu sich.
»Komm mit mir, ich möchte mit dir reden. Nein, Caryl, du bleibst hier«, setzte sie scharf hinzu, und der Junge wich zurück wie ein getretenes Hündchen. Janni führte Romilly ein Stück vom Lager weg, forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen, und ließ sich selbst mit gekreuzten Beinen auf dem langen Gras nieder.
»Irgendein Anzeichen von sich lockernden Zähnen und ausfallendem Haar?«
Romilly entblößte die Zähne in einem Lächeln, hob die Hand und zerrte an ihrem kurzen Haar. »Nicht die Spur, Janni.«
»Evanda sei gepriesen, daß sie ihre Töchter behütet hat.« Janni atmete erleichtert auf. »Ich habe mir heute morgen einiges Haar ausgekämmt, aber ich werde alt und muß das als Schicksal hinnehmen. Trotzdem konnte ich mich der Furcht nicht erwehren, wir hätten jene verfluchte Stätte nicht weit genug umritten. Dieser Wahnsinnige zerstört das Land seiner eigenen Untertanen. O ja, ich bin im Krieg gewesen, ich kann Bauernhöfe brennen sehen, wenn ich es auch verabscheue, daß armes Volk in den Streit der Großen und Mächtigen hineingezogen wird. Aber ein verbrannter Hof kann neu aufgebaut werden, und zertrampelte Saaten wachsen im Frieden von neuem. Doch den Boden selbst vergiften, so daß eine Generation lang nichts mehr gedeiht? Vielleicht bin ich zu empfindlich für eine Kriegerin?« Sie schwieg eine Weile. Dann fragte sie: »Hast du Schwierigkeiten mit deinem Gefangenen gehabt?«
»Nein«, antwortete Romilly. »Er freut sich, nach Hause zu kommen, und er hat sein Ehrenwort gewissenhaft gehalten.«
»Das habe ich erwartet, aber ich bin froh, es von dir zu hören.«
Jandria löste die billigen Silberschnallen an ihrem Mantel und warf ihn zurück. Der Wind zerzauste ihr dichtes Haar. Sie seufzte. Ihr Gesicht sah erschöpft und zerfurcht aus. Romilly meinte voller Teilnahme: »Du bist so müde, Jandria. Laß mich heute abend deinen Anteil an den Lagerarbeiten übernehmen und leg du dich gleich ins Zelt. Ich bringe dir das Abendessen.«
Janni lächelte. »Es ist nicht die Müdigkeit, die auf mir lastet Romilly. Ich bin abgehärtet und ans Reisen und das Leben im Lager gewöhnt, und ich habe schon ohne Murren in weit größerer Unbequemlichkeit geschlafen. Nein, ich bin in Unruhe, denn der Verstand rät mir das eine und die Ehre das andere.«
Romilly fragte sich, welche Probleme Janni haben könne, und die Frau faßte lächelnd nach ihrer Hand. Sie sagte: »Der kleine Carolin ist in meiner Obhut, und die Ehre gebietet mir, daß ich ihn persönlich zu seinem Vater geleite. Trotzdem habe ich daran gedacht, dich zu beauftragen, den Jungen dem Hastur-Lord in Hali zu übergeben.«
Romillys erster Gedanke war, daß sie dadurch Gelegenheit bekam, sich die große Tiefland-Stadt anzusehen, ihr zweiter, daß ihr die Trennung von Caryl schwerfallen würde. Erst dann ging ihr auf, daß sie diesem großen Schurken Lyondri Hastur gegenübertreten müßte.
»Warum ich, Janni?«
Jandria seufzte schwer. »Du kennst die höflichen Sitten und weißt dich in einem Großen Haus zu benehmen. Ich komme mir der Schwesternschaft gegenüber wie eine Verräterin vor, wenn ich es sage. Denn ich habe geschworen, meinen Rang für immer hinter mir zu lassen. Mhari, Rheba, Shaya – sie alle sind gute Frauen, aber sie haben von ihren väterlichen Bauernhöfen linkische Manieren mitgebracht, und auf eine solche diplomatische Mission kann ich sie nicht schicken. Zudem hängt die Sicherheit von uns allen davon ab.« Ihr mühsames Lächeln war fast eine Grimasse. »Ganz gleich, was ich zu Orain gesagt habe, Lyondri Hastur würde mich wiedererkennen, und wenn ich Banshee-Federn trüge und wie ein Ya-Mann im Geisterwind tanzte! Ich habe keine Lust, als Verräterin an den Galgen zu kommen. Carolin – und auch Orain – waren Lyondris geliebteste Freunde, und so verfolgt er sie jetzt mit der größten Wut. Carolin, Orain, Lyondri und ich – wir vier sind
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