Herrin der Lüge
seine Gäste.
»Folgt mir hinein«, bat er, jetzt ein wenig schroffer. »Dort können wir alles Nötige besprechen.«
Sie betraten eine Halle mit rußgeschwärzter Balkendecke. Geweihe, ausgestopfte Bärenschädel und mehrere Wolfsfelle schmückten die Wände. In einer Feuerstelle, groß genug, um einen Ochsen darin zu braten, loderten Flammen. Für die warme Jahreszeit war das Feuer viel zu stark geschürt, die Hitze unangenehm. Auf die Gesichter der Besucher legte sich augenblicklich ein glänzender Schleier.
»Nehmt Platz!« Achard wies auf Stühle an einer hufeisenförmigen Tafel. Die Spuren eines Gelages waren noch nicht gänzlich beseitigt worden, an einem Ende des Tisches stapelten sich benutzte Schüsseln und Krüge. Getrocknete Ringe aus Bier und Wein schimmerten im Schein der Flammen.
Während die Söldnereskorte nahe des Eingangs Stellung bezog, setzten sich Violante, Zinder und Saga an die gegenüberliegende Seite des Tafelkopfes. Achard sank mit einem Stöhnen auf einen besonders großen Stuhl, über den eine Vielzahl von Fellen gebreitet war. Die leeren Augenhöhlen eines Fuchsschädels starrten über die Schulter des Ritters hinweg in Sagas Richtung. In Verbindung mit dem Geruch des verkrusteten Geschirrs wurde ihr übel bei diesem Anblick.
»Ich will Euch nicht länger als nötig aufhalten«, sagte Achard und fixierte Violante über den Tisch hinweg. »Meine Männer sind mir treu ergeben, aber ich würde nicht für jeden einzelnen die Hand ins Feuer legen. Ihr versteht, was ich meine? Je schneller Ihr und Euer Weibertross von hier fort seid, desto früher wird in diesen Mauern wieder Ruhe und Anstand einkehren.«
Irgendwo in diesen Worten steckte eine Unverschämtheit, gar eine Beleidigung, aber Violante entschied wohl, nicht darauf einzugehen. Wenn Achard die Gräfin reizte, dann womöglich nur, weil er sich dadurch einen Vorteil bei den Verhandlungen über das Wegegeld versprach.
»Was Ihr da sagt, ist ganz in meinem Sinne«, entgegnete Violante. »Nennt also Euren Preis.«
»Ihr seid … wie viele? Vierhundert? Fast fünfhundert?«
Violante nickte.
»Das macht …«, begann Achard, zählte an den ausgestreckten Fingern irgendetwas ab, verstummte wieder und runzelte abermals die Stirn. »Ich fürchte, das wird nicht billig für Euch, Gräfin.«
Violante blieb gefasst. »Bedenkt, dass es uns um die Befreiung des Heiligen Grabes geht, Ritter Achard. Der Herr wird es Euch danken, wenn Ihr Euch großzügig zeigt.«
»Oh, gewiss, gewiss. Wenn Ihr in meinem Namen ein Gebet am Ort seiner Auferstehung sprechen könntet, wäre ich Euch zutiefst verbunden.« Er lächelte. »Nur, was, wenn Ihr niemals dort ankommt? Ich meine, die Aussichten auf einen guten Ausgang.
Eurer ehrenwerten Unternehmung sind, sagen wir, begrenzt. Es wäre ein schlechtes Geschäft für mich.«
Zinder wollte auffahren, aber Violante legte ihm rasch eine Hand auf den Unterarm. »Wie viel?«
Achard nannte einen Betrag in Gold. Genug um eine Burg wie die seine zu kaufen.
»Ihr vergesst Euch!«, rief die Gräfin erbost.
Achard schenkte ihr ein Grinsen. Die Narben auf seinen Zügen gerieten dabei in Bewegung wie ein Schwärm rosa Schnecken. Mit einem Wink rief er einen Diener herbei. »Bringt uns Bier! Und Wein für die Damen!« Sein Blick traf Saga und verharrte auf ihr, so als nähme er sie zum ersten Mal war.
»Du musst die Magdalena sein, von der alle sprechen«, sagte er leise. »Die Heilige.«
Sie erschrak, blieb aber nach außen hin gefasst.
»Wir liegen zwar abseits der großen Städte«, sagte er selbstzufrieden, »aber es bitten viele Reisende um die Erlaubnis, meine Schlucht zu durchqueren. Von allen Wegen über die Alpen ist dies mit Abstand der schnellste. Manch einer bietet Berichte aus der Ferne als Wegezoll an, und hin und wieder bin ich genügsam und höre zu.«
»Dann wisst Ihr, was auf dem Spiel steht«, sagte Violante. »Das Seelenheil vieler Tausender, die uns in Mailand erwarten. Der Papst persönlich hat Gesandte in die Stadt geschickt, die auf die Magdalena warten, um ihr zu huldigen. Wollt Ihr Euch dem tatsächlich in den Weg stellen, Ritter Achard?«
Er antwortete erst, als seine Diener Becher und Tonkrüge zwischen ihnen auf der Tafel abgestellt hatten. »Ich muss meine Interessen wahren. Diese Burg unterstand viele Jahrzehnte lang dem Vater meines geliebten Eheweibs Jorinde. Ihr könnt nicht erwarten, dass ich Schande über sein Andenken bringe, indem ich fast fünfhundert Seelen ohne
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