Herrin der Lüge
unsichtbar in die sternenlose Nacht hinauf und sättigte die Umgebung mit harzigem Aschegeruch.
Saga war nicht sicher, was Achard mit Gahmurets Taten meinte, und sie sah Zinder an, dass nichts von dem, was er gerade gehört hatte, seine Sorgen zerstreute. Dennoch folgten sie beide der Gräfin und dem Ritter durchs Burgtor. Niemand erhob Einspruch, als sich ihnen ein halbes Dutzend Söldner anschloss. Die übrigen blieben als Speerspitze des Frauenkreuzzugs vor der Burg stehen und behielten die bewaffneten Männer auf den Zinnen im Auge. Vom Serpentinenpfad drängten immer noch weitere Mädchen auf das Plateau, ließen sich erschöpft ins Gras fallen oder begannen ganz pragmatisch, Vorräte und Kochgeschirr auszupacken.
Der Innenhof der Burg erstreckte sich über unebenen Felsboden, dessen bucklige Erhebungen durch Holztreppen ausgeglichen wurden. Stallungen, Lagergebäude und Unterkünfte der Burgbesatzung waren über das Gelände verstreut und schimmerten rötlich im Schein der Feuer. Irgendwo spielte jemand Flöte, nicht einmal schlecht, aber Saga konnte den Musikanten nirgends entdecken. Die Melodie erinnerte sie schmerzlich an Faun. Vielleicht konnte sie Violante zur Entsendung eines Boten überreden, bevor sie diesen Felsen verließen; sie würde einen Schwur leisten, die Rolle der Magdalena weiter zu spielen, falls die Gräfin Befehl gab, Faun freizulassen.
Rund um die Feuer saßen zahlreiche Männer und blickten auf, als Saga und die anderen über Stufen und poröse Felsflächen zum Wohnturm geführt wurden. Fettverschmierte Lippen ließen von gebratenen Wildkeulen ab und flüsterten oder grinsten, als die beiden Frauen und ihre Eskorte vorüberschritten. Sagas Herz schlug rascher beim Anblick der waffenstarrenden Kriegshorde; fast schien es, als bereitete Achard einen Eroberungszug vor, statt diesen Außenposten am Rande einer Gebirgsschlucht zu bewachen.
Möglicherweise war der Zugang zur Via Mala bedeutsamer, als sie bislang angenommen hatte. Sie war froh, die Felskluft vom Burghof aus nicht sehen zu können; die kurzen Blicke, die sie während des Aufstiegs durch Nadelholz und Eichenkronen darauf hatte werfen können, waren beunruhigend genug gewesen. Es war, als dampfte das Unheil wie Nebel aus den schieferschwarzen Tiefen.
»Ihr seid eine Menge Menschen.« Achard blickte im Gehen über die Schulter. »Was Ihr vorhabt, ist nicht ungefährlich.«
»Unser Vorhaben ist ein Kreuzzug, Ritter Achard«, entgegnete Violante mit verblüffender Streitlust. »Wer hat behauptet, die Befreiung Jerusalems könne ungefährlich sein?«
Unbeeindruckt zuckte er die Achseln. »Darum ist sie auch keinem auf Dauer gelungen, nicht wahr? Darf ich fragen, warum ausgerechnet Ihr an einen Erfolg glaubt? Ich meine, einige hundert Frauen … Ohne unhöflich sein zu wollen, ist mir nicht ganz klar, wie Ihr gegen Hunderttausende wilder Sarazenen bestehen wollt.«
Saga krümmte sich innerlich, als hätte er seinen Finger in eine offene Wunde gelegt.
»Gott liebt die Reinen und Unschuldigen. Darum wird er uns beistehen.« Beachtlich, mit welchem Ernst Violante diese Worte sprach. Beinahe als glaubte sie selbst daran.
Achard blieb stehen, nur noch wenige Schritte vom Turm entfernt. »Ich bin überzeugt von Euren hehren Zielen, edle Gräfin«, sagte er mit gesenkter Stimme, »aber Ihr solltet Acht geben, vor meinen Männern nicht allzu laut die Unschuld Eurer Begleiterinnen zu beteuern.«
Violante wollte etwas erwidern, doch diesmal fiel Zinder ihr ins Wort. Ein kaltes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Dann solltet Ihr Euren Männern besser Befehl geben, ihre Finger und, besser noch, ihre Blicke bei sich zu behalten.« Saga fand, dass er das ganz großartig machte: drohen ohne zu drohen. Alles eine Sache des Mienenspiels. Am liebsten hätte sie ihm anerkennend auf die Schulter geklopft.
Achard erwiderte das Lächeln, nickte Zinder zu und wandte sich wieder zum Turm um. Von nahem wirkte er sehr viel eindrucksvoller. Mindestens vier Stockwerke, schätzte Saga. Der Eingang befand sich ein paar Stufen über dem Boden, und weiter oben umsäumte ein hölzerner Rundlauf das gesamte Gebäude; dort gab es eine zweite Tür. In ihr stand eine schlanke Gestalt, die sich, als Saga ihren Blick kreuzte, eilig ins Innere zurückzog. Achard hatte sie nicht bemerkt, hörte nun aber, dass dort oben die Tür ins Schloss fiel. Eine Falte erschien auf seiner Stirn, sein Blick strich an der Fassade hinauf, konzentrierte sich dann wieder auf
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