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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ihr –«, entfuhr es Violante, aber dann verstummte sie, als sie die Wildheit in Zinders Augen entdeckte.
    »Ihr bezahlt mich, damit ich Euch beschütze!«, fauchte der Söldnerführer. »Und darum gebe ich Euch folgenden Rat: Geschäfte mit Männern wie Achard bringen selten etwas Gutes. Selbst wenn Ihr Euch sicher vor ihm wähnt, vertraut mir, Ihr seid es nicht! Achard ist kein goldgieriger Dummkopf, auch wenn er sich gerade alle Mühe gegeben hat, Euch diese Rolle vorzugaukeln.« Er sah wutentbrannt zurück zur Tür des Wohnturms, die immer noch offen stand. Die nächsten Lagerfeuer waren weit genug entfernt, sodass keiner von Achards Männern den Streit mit anhören konnte. Dennoch hatten einige der Männer die Köpfe erhoben und starrten düster herüber.
    Violante war überrascht, aber nicht eingeschüchtert. Mit erbostem Blick baute sie sich vor ihm auf und starrte ihm unverwandt in die Augen. »Wir haben keine andere Wahl. Versteht Ihr das nicht? Die Via Mala ist mörderisch genug, auch ohne dass wir uns Achard von Rialt und seine Bande zu Feinden machen!«
    Sagas Blick wurde plötzlich von einer Gestalt angezogen, die oben auf der Balustrade erschienen war, gute drei Mannslängen über dem Haupteingang. Die junge Frau trug ein weißes, knöchellanges Kleid, als hätten ihre Zofen sie für ein besonderes Fest ausstaffiert; es lag ungewöhnlich eng an, was sie anderswo gewiss in Verruf gebracht hätte. Sie war sehr schlank, dünner noch als Violante, aber bei einer gepflegten Frau ihres Standes wirkte ein solcher Körper nicht ausgezehrt, sondern liebreizend. Diesen Eindruck verstärkte das glatte blonde Haar, das offen über ihre Schultern fiel. Die Höhenwinde spielten darin, und Saga wurde bewusst, dass es diese Bewegung war, die ihre Aufmerksamkeit überhaupt erst auf das ätherische Geschöpf dort oben gelenkt hatte. Wahrscheinlich stand sie schon schweigend auf der Balustrade, seit Saga und die anderen den Wohnturm verlassen hatten.
    »Fragt sie einfach«, sagte Saga ruhig.
    Zinder und Violante, die den Auftritt der Burgherrin nicht bemerkt hatten, wandten ihr gleichzeitig die Köpfe zu. »Was?«, fauchte die Gräfin.
    »Fragt Jorinde, ob sie mit uns gehen will.« Saga deutete mit einem Kopfnicken nach oben zur Balustrade. »Und bietet ihr an, ihren Sohn mitzunehmen. Sie sieht nicht glücklich aus, oder? Vielleicht ist sie froh, von hier verschwinden zu können. Wer will schon freiwillig an einem solchen Ort leben?«
    Mit einer raschen Bewegung zog sich die junge Frau zurück in die Schatten hinter der Tür. Ihr Bild schien wie eine Lichtschliere einen Augenblick länger am Geländer zu haften, ehe es sich gleichfalls in Dunkelheit auflöste.
    Zinder stieß ein heiseres Lachen aus. »Begreifst du denn nicht, Saga?«
    Mit einer Mischung aus Verwirrung und Ärger blickte sie von ihm zu Violante.
    Die Gräfin seufzte, nahm sie am Arm und drehte sie von der offenen Tür weg. »Ist es nicht offenkundig? Achard hat das Erbe dieser Frau an sich gerissen. Und nun will er sie loswerden. Würde er sie einfach, sagen wir, vom nächstbesten Felsen werfen, würde er alles verlieren – das Erbe fiele zurück an ihre Familie.
    Zieht sie aber mit uns und taucht nie wieder auf, ohne dass ihr Tod je bestätigt wird, dann wäre sie nur eine vermisste Kreuzfahrerin mehr, und ihr Sohn würde zum Herrn dieser Burg. Achard jedoch wäre sein Vormund. Alles bliebe beim Alten – nur ohne Torinde und ihre lästige Familie. Deshalb würde er um nichts in der Welt zulassen, dass sie das Kind mitnimmt. Der Junge ist sein Schlüssel zu dieser Burg, zur Via Mala und zu all dem Gold, das er auf diese oder jene Weise mit ihr verdient.«
    Sagas Mund war trocken geworden. »Aber das vermutet Ihr nur!«
    »Ja.« Widerstrebend kam Zinder der Gräfin zu Hilfe. »Trotzdem wette ich meinen Sold, dass es genauso ist. Solche Geschichten passieren überall und jeden Tag. Männer wie Achard waren schon immer sehr geschickt darin, sich den Besitz anderer anzueignen.«
    Violante eilte voraus Richtung Tor. »Erstaunlich, dass Ihr noch kein Burgherr seid, Hauptmann Zinder.«
    Brütend blickte er ihr nach. Erstmals sah Saga ihn verlegen um eine Antwort.
    Sie streifte ihn mit der Schulter. »Sie mag dich auch.«
     

Am Abgrund
     
    Der Mond übergoss die schroffen Berggipfel mit mattem Silberglanz. Die himmelhohen Granitzähne verschlangen das Licht, kein Stern war zu sehen. Eine bedrückende Stille lag über dem Gebirge. Die einsamen Winde, die

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