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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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eingehend.
    Jorinde nickte nachdenklich, sagte nichts weiter, drehte sich mit schmerzverzerrter Miene um und verließ den Saal.
    »Komm«, sagte die Gräfin zu Saga, nahm sie am Arm und führte sie hinaus ins Freie. Zinder folgte ihnen, eine Hand am Griff von Wielands Schwert, als warte er nur auf eine unbedachte Geste des Burgherrn.
    »Er war es, der sie so zugerichtet hat«, flüsterte Saga benommen, als sie am Fuß der Treppe stehen blieb.
    »Achard wird seine gerechte Strafe bekommen«, sagte Violante, »früher oder später.«
    Zinder trat neben sie. »Jetzt gleich, wenn es nach mir ginge.«
    »Ich weiß«, erwiderte Violante. Aber sie sagte es auf eine Weise, die offen ließ, ob sie Zinders Hass auf den Ritter teilte oder schlichtweg eine Feststellung traf.
    Kurz vor ihrem Aufbruch kam ein hagerer alter Mann ins Lager und bat um eine Gelegenheit, mit der Gräfin zu sprechen.
    »Mein Name ist Elegeabal«, sagte er und verbeugte sich vor Violante. Er trug weite, erdfarbene Gewänder in mehreren Lagen, die unteren dunkler als die oberen, befleckt und zerschlissen. Er stützte sich auf einen knorrigen Stab, der ihn um Haupteslänge überragte. Sein Bart war ungepflegt und vom Alter ausgedünnt, ein Wirrwarr weißer Spinnweben. Der linke Nasenflügel war zu einem hässlichen Narbengeflecht verwachsen, als wäre dort die Haut einmal mit stumpfer Klinge aufgeschlitzt worden. Das Auge darüber war starr und blind.
    »Ich bin der Traumdeuter des Ritters von Rialt«, sagte er, »und der Knochenflicker seiner Männer.«
    »So hast du gewiss viel zu tun, alter Mann.« Zinder trat hinzu, ein Bündel in der Hand, in das er nachlässig zerknüllte Kleidung stopfte.
    Elegeabal verneigte sich auch in seine Richtung, aber dabei zuckte es spöttisch um seine Mundwinkel. »Mehr Träume und weniger Wunden würden mir das Leben in der Tat erleichtern, mein Herr.«
    »Warum willst du mit mir sprechen?«, erkundigte sich Violante ungeduldig. Im Hintergrund bauten die Zofen ihr Zelt ab.
    »Ich möchte Euch bitten, Euch ein Stück weit in die Schlucht begleiten zu dürfen«, sagte der Alte. »Der Herr von Rialt schätzt meine Kunst nicht hoch genug, um mir eine eigene Eskorte zu gewähren, und ich würde die Gelegenheit gern nutzen, um dort unten meine Forschungen voranzutreiben.«
    Violante zeigte wenig Interesse und blickte über seine Schulter zu den Zofen hinüber, die sich mit der gerollten Zeltplane abmühten. »Tut, was Ihr wollt. Mir soll’s gleich sein.«
    »Was für Forschungen sind das?«, fragte Saga. Sie saß in der offenen Tür ihrer Kutsche, nur wenige Schritt entfernt. Die Pferde waren abgeschirrt. Einer von Achards Führern hatte Violante unmissverständlich erklärt, dass es für diese Art von Wagen in der Schlucht kein Durchkommen gäbe.
    »Ich untersuche Funde, die ich vor ein paar Jahren gemacht habe.«
    »Funde?«, fragte Zinder. Auch er behielt beim Sprechen seine Männer im Blick. Die Söldner hatten ihre eigenen Zelte bereits verstaut und halfen nun den Mädchen auf dem Plateau und am Wegrand beim Abbau der ihren. Saga hatte den Verdacht, dass einige der Kreuzfahrerinnen längst nicht mehr so jungfräulich waren, wie Violante gern behauptete; ein paar kicherten und kokettierten, wenn die Männer in der Nähe waren und um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Zinder ging dazwischen, wo er nur konnte, doch auch er hatte seine Augen nicht überall.
    »Diese Schlucht ist ungeheuer alt«, sagte Elegeabal, »und sie hat Wesen gesehen, die heute nicht mehr über die Erde wandeln. Geister, Zwerge, Trolle – und Drachen. Dies war einst eine ihrer Heimstätten. Es gab viele Drachen hier, aber einen besonders großen und mächtigen. Die ersten Menschen haben ihn gefürchtet und verehrt, und die Römer fanden schließlich seine Überreste, als sie Wege in die Felswände des Bösen Weges trieben.«
    »Heh!«, rief Violante ihren Zofen zu. »Vorsicht damit!« Sie ließ den Traumdeuter stehen und eilte zu ihnen hinüber.
    Elegeabal blinzelte ihr verwirrt hinterher.
    Zinder räusperte sich. »Ein Drache, sehr schön. Begleite uns, wenn du magst, alter Mann, aber halt dich zurück mit solchem Geschwätz. Die Furcht meiner Männer vor dieser Schlucht ist groß genug. Ich kann niemanden gebrauchen, der ihnen etwas von Ungeheuern vorfaselt.« Damit wandte auch er sich ab, spie ins Gras und begab sich auf einen Kontrollgang durchs Lager.
    Elegeabal stand ein wenig verdattert da, doch ein schmales Lächeln erschien auf seinen Zügen, als

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