Herrin der Lüge
dem martialischen Stampfen der Krüge ergab. Tiessa tanzte dazu immer lebhafter, als vergäße sie die Welt um sich herum, die lüsternen Blicke der Männer, die Gefahr, die sie mit jeder Biegung ihres gertenschlanken Leibes, jedem scheuen Lächeln ein wenig achtloser heraufbeschwor. Faun schwitzte vor Hitze, aber auch vor wachsender Sorge, und er tat sein Bestes, die Männer an der Tafel im Auge zu behalten. Sobald es zu brenzlig wurde, musste er Tiessa hier herausschaffen. Auch wenn ihm im Augenblick jeglicher Einfall fehlte, wie das zu bewerkstelligen wäre.
Tiessa tanzte über die Atempause zwischen zwei Melodien hinweg, fand mühelos in den Takt des nächsten Liedes und wirbelte ausgelassen an der Innenseite der Tafel entlang. Alle Blicke folgten ihr, obgleich gewiss der eine oder andere einer Maid mit dralleren Formen den Vorzug gegeben hätte.
Schließlich wusste Faun nicht mehr, wie viele Lieder er gespielt hatte, und er sah Tiessa an, dass auch sie kurz vor der völligen Erschöpfung stand. Ihre Schritte wurden unsicher, einmal taumelte sie gegen die Tischkante und konnte nur durch einen stolpernden Schritt den zupackenden Händen eines Mannes entgehen. Sie waren beide mit Wachs besprenkelt, der vom Leuchter auf sie herabtropfte, aber weder Tiessa noch Faun hatten die heißen Berührungen wahrgenommen. Zu versunken waren sie in Spiel und Tanz, und nun war es schwer, daraus zurück in die rußgeschwängerte Wirklichkeit der Ritterhalle zu finden.
Faun spielte den letzten Ton einer Melodie, nahm die Flöte von den Lippen und verbeugte sich. Ihm wurde schwindelig dabei, mehr noch, als er sich wieder aufrichtete. Hastig griff er nach Tiessas Hand. Sie verneigte sich neben ihm. Das Krügeklopfen auf der Tischplatte wurde schneller und erreichte einen lärmenden Höhepunkt, als alle Schläge in ein tosendes Tohuwabohu übergingen.
Der kleine Junge an der Seite des Burgherrn hielt sich die Ohren zu und begann zu weinen. Seine Amme eilte hastig nach vorn, aber Achard stieß sie lachend zurück und erhob sich von seinem Platz. Mit hochgereckter Hand sorgte er für Ruhe. Der Junge hörte auf zu weinen, vielleicht weil er fürchtete, sein Vater hole zu einem Schlag aus.
»Gut aufgespielt«, rief Achard den beiden zu, »und ganz vortrefflich getanzt! Mir scheint, es war eine blendende Idee, euch auf die Burg bringen zu lassen.« Dass dabei drei seiner Männer ihr Leben gelassen hatten und elf weitere seither verschollen waren, ließ er außer Acht. Die übrigen sahen nicht aus, als wollten sie gerade jetzt daran erinnert werden.
»Ich würde dich an meine Seite bitten, schönes Kind«, sagte er zu Tiessa, »aber mein geliebtes Eheweib hat gerade erst das Kreuz genommen und ihr Leben dem Kampf um die heiligen Stätten geweiht. Ich wäre wohl ein schlechter Gemahl, würde ich ihren Platz gleich einem so schönen und unschuldigen Mädchen wie dir anbieten.«
Gelächter und zotige Zurufe brandeten auf, und Tiessa wurde wohl nur deshalb nicht totenbleich, weil ihr Gesicht noch immer vom Tanz gerötet war. Faun rückte unmerklich ein wenig näher an sie heran.
»Nach alter Sitte will ich euch guten Lohn für eure Dienste entbieten«, fuhr Achard fort, nachdem er den Lärm mit einer Geste besänftigt hatte. Mit diesen Worten streifte er sich das lederne, mit Fell besetzte Wams vom Körper und warf es ihnen zu. Faun sprang vor und fing es auf. In der Tat war es üblich, dass Gauklern und Spielleuten als Entlohnung Kleidungsstücke der Herrschaft überreicht wurden – was nicht selten dazu führte, dass Fahrende in teure Stoffe gehüllt waren, dafür aber anderswo keine Almosen mehr erhielten, denn niemand wollte ihnen glauben, dass sie tatsächlich auf jede Gabe angewiesen waren.
Das Lederwams des Ritters von Rialt war verschwitzt und stank nach schalem Bier, aber es war zweifellos ein teures Stück. Unter anderen Umständen hätte Faun versucht, es am nächsten Tag zu verkaufen, und womöglich einen guten Preis dafür erzielt. An diesem schrecklichen Ort aber ahnte er, dass es nicht damit getan sein würde, das Wams in Empfang zu nehmen.
Seine Befürchtungen wurden bestätigt, als ein verschlagenes Grinsen auf Achards Zügen erschien. »Zeig deine Dankbarkeit, indem du es für mich trägst«, verlangte er und blickte dabei nicht auf Faun, sondern in Tiessas Richtung. »Leg diesen Lumpen ab, und zieh dein neues Gewand über.«
Tiessa stand da wie versteinert.
Das Schlagen der Krüge begann erneut, diesmal in einem
Weitere Kostenlose Bücher