Herrin der Lüge
Beinlinge in Schwarz und Braun, hohe Stiefel und ein Wams mit weit geschnittenen Ärmeln. Sein Gesicht war narbig, ebenso die Haut über seiner Brust, die im Ausschnitt des Wamses zu sehen war.
Tiessa drängte sich an Faun, der in diesem Moment nicht wusste, wen sie mehr fürchten mussten, Achard von Rialt und seine Festung voller Meuchelmörder, oder aber die Ritter draußen vor dem Tor.
Auf den Zinnen ertönten Rufe, ein paar Männer hatten Pfeile nach unten geschossen. Einer der Wächter wurde mit einem Aufschrei wie von Geisterhand nach hinten geschleudert. Als er mit knirschendem Rückgrat auf einer Steinkuppe landete, steckte ein Wurfdolch in seiner Kehle.
»Sie können doch zu viert keine Burg angreifen!«, keuchte Faun.
Tiessa brachte kein Wort heraus.
Achard von Rialt schenkte den beiden keine Beachtung und debattierte gestikulierend mit seinem Unterführer. Der Burgherr tobte, weil seine Männer berittene Feinde auf das Plateau geführt hatten. Der Krieger, der Faun und Tiessa abgeholt hatte, redete dagegen, beteuerte, dass ihn und die anderen keine Schuld träfe und sie nicht die geringste Ahnung hätten, woher die Verfolger mit einem Mal gekommen seien.
Achard ließ ihn stehen und stürmte zu einer Treppe, die hinauf zum Wehrgang führte. Oben angekommen, baute er sich ungeachtet der Gefahr durch weitere Wurfdolche oder Armbrustbolzen auf der Mauer auf, die Hände in die Seiten gestemmt und blickte wie ein überlegener Heerführer von seinem erhöhten Aussichtspunkt in die Tiefe.
»Wo seid ihr?«, brüllte er hinaus über das Plateau und die Abgründe, die es umgaben. Seine Stimme hallte von den Felsen wider. »Wo, zum Teufel, steckt ihr? Keiner greift ungestraft die Soldaten des Herrn von Rialt an! Hört ihr mich? Niemand!«
Tiessa presste sich noch enger an Faun. Auch ihm war jetzt so übel, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie waren vom Regen in die Traufe geraten. Dies hier war keine gewöhnliche Burg, dafür reichte ein Blick in die Gesichter der umstehenden Männer. Dennoch saßen sie hier fest, und draußen warteten der Falkner und seine Getreuen.
Achard spie geräuschvoll über die Zinnen hinaus in die Tiefe, schaute sich noch einmal in alle Richtungen um, dann kam er zurück in den Hof, nahm immer drei Stufen auf einmal.
»Richard!«, brüllte er einen seiner Leute an. »Nimm dir zehn Reiter und finde sie! Einen will ich lebend, den anderen reißt meinetwegen die Haut vom Leib. Aber einen brauche ich, hörst du? Und er muss noch reden können!«
Der Angesprochene, ein rotblonder Hüne, nickte stumm und scheuchte mit wenigen Handbewegungen zehn Krieger auf Pferde, die rasch herbeigeführt wurden. Das Tor wurde einen Spaltbreit geöffnet, gerade weit genug, dass der Trupp hinauspreschen konnte, dann fiel es wieder zu. Die eisenbeschlagenen Ränder krachten gegeneinander und ließen den Boden erbeben. Selbst Faun und Tiessa spürten die Erschütterung im Schatten des Holzschuppens.
»Veit«, wandte Achard sich an den Führer des Trupps, »wie viele Männer hast du verloren?«
»Drei, Herr. Aber –«
»Kannst du Hurensohn nicht mal ein paar Gaukler aus dem Dorf heraufholen, ohne Fehler zu machen?«
»Herr, ich –«
»Ach, halt’s Maul!« Der Ritter von Rialt winkte ab und wandte sich zum klobigen Wohnturm am anderen Ende des Burggeländes. »Bete zu Gott, dass Richard diese Kerle erwischt. Wer auch immer sie sind – ich will sie nicht in der Nähe meiner Burg haben. Sonst bist du der Nächste, der nach ihnen sucht! Allein!«
Ohne Faun und Tiessa auch nur mit einem Blick zu würdigen, stieg er die Stufen hinauf. Mehrere Dutzend Männer im Burghof standen stocksteif da, keiner wagte es, Achards Aufmerksamkeit durch ein Wort oder eine Bewegung auf sich zu ziehen.
Veit, der seinen Zorn nur mühsam unterdrücken konnte, starrte seinem Herrn hasserfüllt hinterher. Er hatte die Faust um den Griff seines Schwerts geballt.
»Sie werden sie töten«, flüsterte Tiessa Faun zu.
Er brauchte ein paar Herzschläge, ehe er begriff, wen sie meinte. »Das waren elf Männer«, gab er leise zurück. »Der Falkner und die anderen sind zu viert. Zu dritt, wenn der Wächter am Weg wirklich einen erledigt hat. Gegen so viele haben sie keine Chance.«
Tiessa gab keine Antwort.
Im Westen umrahmte Dämmerung die Berggipfel und ließ sie noch schroffer und bedrohlicher erscheinen; im Osten hatte sich Finsternis über das Gebirge geschoben wie Gletscher aus Asche. Wer jetzt noch
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