Herrin der Lüge
langsamen, lauernden Takt. Niemand sprach, nur Lachen erklang aus manchen Ecken.
Faun hielt das Wams noch immer in beiden Händen.
»Nun?«, rief Achard. »Reich deinem Weib ihr neues Hemd. Ich will, dass sie es trägt. Jetzt gleich!«
Die Amme trat abermals einen Schritt vor, um eine Hand vor die Augen des kleinen Jungen zu legen, sollte Tiessa sich tatsächlich entblößen.
»Gib’s her«, raunte Tiessa Faun zu.
Er sah sie erschrocken an.
»Du sollst es mir geben«, forderte sie.
Zögernd streckte er den Arm aus. Als sie ihm das Wams abnahm, streifte seine Hand die ihre. Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dass er mehr für sie empfand, als er sich bislang eingestanden hatte, dann war es dieses sonderbare, beängstigende, großartige Gefühl, das ihn durchzuckte, als sie sich berührten. Dutzende rotgeränderte Augenpaare starrten sie an, und hinter vielen mochten die niederträchtigsten Wünsche lodern; doch für ein paar Herzschläge schienen Faun und Tiessa ganz allein zu sein. Sie ließ ihre Finger einen Moment länger als nötig zwischen dem Wams und seiner Hand, dann zog sie das Kleidungsstück zu sich herüber. Während Faun sie noch fassungslos ansah, wog sie das Wams in beiden Händen.
»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Herr Ritter«, sagte sie laut. Ihre helle Stimme übertönte kaum das Hämmern der Krüge. »Eure Großzügigkeit wird weithin gelobt, und mein Gemahl und ich sind froh, dass unser Weg uns in Euer Haus geführt hat.«
Weiter knallten die Krüge, jetzt im Rhythmus von Fauns wildem Herzschlag.
Tiessa klemmte sich das Lederwams zwischen die Beine, dann begann sie, die Kreuzschnüre ihres eigenen zu lösen. Es war fleckig und mit Schmutz bedeckt. Während der Reise ins Gebirge hatte es ihr gute Dienste geleistet, doch nun war es tatsächlich kaum mehr als ein Lumpen.
Faun atmete tief ein. Es war abscheulich, dass er gezwungen war, sie wie alle anderen mit weiten Augen anzustarren, so als sei er eine dieser verkommenen Kreaturen. Zugleich aber spürte er in sich eine Faszination, für die er sich schämte, eine Neugier und, Gott, ja, den verdammenswerten Wunsch, sie nackt zu sehen. In all den Tagen an ihrer Seite, an all den Abenden, wenn sie gemeinsam unterm Nachthimmel und in Herbergskammern gelegen hatten, hatte sie sich ihm nicht einmal so gezeigt wie jetzt, als sie ihr schmutziges Wams abstreifte und für einen Moment mit bloßem Oberkörper dastand, hellhäutig, verschwitzt und mit rosigen Brüsten.
Tiessa, dachte er, das wird uns umbringen. Wenn es dein Tanz nicht getan hat – das hier wird es tun!
Er riss sich von ihrem Anblick los und beobachtete die Männer um sie herum. Viele Krüge standen jetzt still auf der Tafel. Die Luft schien zu knistern vor Erregung. Faun wollte sich vor sie werfen, sie vor diesen widerwärtigen Blicken schützen. Aber er wusste auch, wenn er das täte, würde das den Kessel zum Überkochen bringen. Es schien fast, als warteten sie nur darauf, dass etwas Unvorhergesehenes geschah, etwas, das als Begründüng herhalten konnte, um über die Tafel zu springen und sich auf das Gauklermädchen zu stürzen.
Steh ganz still, hämmerte er sich ein. Sag nichts. Tu nichts.
Nie im Leben war ihm irgendetwas so schwer gefallen.
Während sein Blick umherwanderte, von einem Gesicht zum anderen, bemerkte er einen alten Mann, der ihm bislang nicht aufgefallen war. Er saß zurückgelehnt an einem der beiden Hufeisenenden der Tafel. Während alle anderen gafften, füllte er sich in aller Ruhe einen weiteren Becher mit Wein und trank. Dabei blickte er über den Becherrand zu Faun herüber. Für einen Herzschlag kreuzten sich ihre Blicke. Der Mann trug weite Gewänder in mehreren hellen und dunkelbraunen Lagen, die selbst im Sitzen bis zu seinen Füßen reichten. Sein dünner Bart wehte bei jeder Bewegung, so leicht und spärlich waren die langen Haare. Etwas war mit seiner Nase; die linke Seite wirkte klobig, wie von einem Geschwür oder wildem Fleisch entstellt. Tiessa zog sich das Wams des Ritters über, und ein leises »Ohh« und »Ahh« ging durch die Reihen, als ihre nackte Haut unter dem rauen Leder verschwand. Aber Faun war nicht nach Aufatmen zumute. Diese Männer hatten Beute gewittert, und er fragte sich, wie er verhindern sollte, dass sie sich später in der Nacht auf die Jagd begaben.
»Seid heute unsere Gäste«, sprach Achard und ließ sich zurück auf seinen throngleichen Stuhl fallen. Neben ihm schaute der kleine Junge verwirrt
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