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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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draußen im Dunkeln war, sah besser zu, dass er einen sicheren Platz für die Nacht fand, sonst war er zwischen Felsspalten, Hochmooren und tückischen Geröllfeldern verloren.
    Richard und seine Männer waren nicht zurückgekehrt. Achard tat, als kümmere es ihn nicht, und ließ trotz alledem die Feierlichkeiten beginnen. Faun und Tiessa hatten den Rest des Tages in der Küche zwischen Knechten und Mägden verbracht und erfahren, dass das Fest zu Ehren des vierjährigen Sohnes des Burgherrn stattfand. Jetzt, da die Dame Jorinde sich dem Kreuzzug der Magdalena angeschlossen und den Jungen in der Obhut des Vaters zurückgelassen hatte, war es Achards erste väterliche Geste, dem kleinen Achim von Rialt vorzuführen, wie wahre Männer zu feiern verstanden.
    Den ganzen Tag über drehten sich Rotwild und Schweine über den Feuern der Burgküche. Bierfässer wurden herbeigerollt, Schläuche voller Wein gestapelt. Es gab nicht viele Bedienstete in diesen Mauern, aber die wenigen taten ihr Bestes, den Herrn von Rialt zufrieden zu stellen. Angst vor ihm und seinen Männern stand den Mägden und Knechten ins Gesicht geschrieben, und die wenigen Worte, die sie mit dem fremden Gauklerpärchen wechselten, waren kurz und eingeschüchtert. Am Abend aber, als sich die Männer des Burgherrn in der Halle des Wohnturms drängten, hatten die beiden genug mit angehört, um sich ein Bild vom Leben auf Hoch Rialt machen zu können. Mehr als einmal an diesem Tag hatte Faun sich gewünscht, sie wären wieder draußen im Wald, ungeachtet ihrer Verfolger.
    Jeden Moment würde man sie in die Halle rufen. Sie beschlossen, draußen vor dem Turm zu warten und frische Luft zu schnappen. Nicht alle Krieger des Burgherrn nahmen teil an dem Bankett; viele hatte er mit Fackeln in den Händen auf den Zinnen postiert, unter ihnen auch Veit. Dort blickten sie in die Nacht hinaus und warteten auf die Rückkehr ihrer Gefährten. Der Fackelschein reichte nicht bis ins Innere des Hofs. Das Herz der Festung lag in tiefer Dunkelheit.
    Dann war es so weit. Jemand rief Faun und Tiessa herein, und so betraten sie zum ersten Mal die große Halle von Burg Hoch Rialt. Faun setzte ein Lächeln auf, nickte Tiessa aufmunternd zu und schritt gemeinsam mit ihr in die Mitte der hufeisenförmigen Tafel. Es war ungeheuer warm hier drinnen. Einige Männer hatten sich die Wämser heruntergerissen und saßen mit nackten, schweißglänzenden Oberkörpern auf den Bänken. Die Tafel war gut bestückt mit Platten voller Fleisch und Fisch. Bier und Wein flossen reichlich. Was immer man dem Ritter von Rialt auch nachsagen mochte, knauserig war er nicht.
    Tierschädel glotzten blind von den Wänden herab. Ein eiserner Leuchter mit einer Unmenge von Kerzen hing von der schwarzen Balkendecke. Faun fiel ein Tropfen auf die Wange, und als er mit der Hand darüberwischte, stellte er verwundert fest, dass es sich um wertvolle Wachskerzen handelte, nicht um Talg.
    Am Kopfende der Tafel saß Achard von Rialt und hatte die Ankunft der beiden Spielleute noch gar nicht bemerkt. Er redete lautstark auf einen bärtigen Mann zu seiner Linken ein. An seiner anderen Seite saß auf einem erhöhten Stuhl ein kleiner Junge – sein Sohn Achim. Hinter ihm an der Wand stand eine Frau mit unglücklicher Miene und versuchte, dem ausgelassenen Treiben so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. Sie musste die Amme des Kleinen sein.
    Der junge hatte feines, hellblondes Haar, das er wohl von seiner Mutter Jorinde geerbt hatte, denn Achards Mähne war dunkel und wuchernd und hatte Ähnlichkeit mit den Wolfspelzen, die die Wände seiner Halle schmückten. Der Kleine mühte sich mit beiden Händen mit einem viel zu großen Stück Fleisch ab, das man ihm in eine Holzschüssel gelegt hatte.
    Faun verneigte sich, obgleich Achard es kaum wahrnahm, und begann, auf seiner Flöte zu spielen. Kaum jemand nahm Notiz davon, alle redeten weiterhin durcheinander, lärmten, prahlten und verschlangen das Fleisch aus den Schüsseln. Erst als Tiessa ihre Starre überwand und zu tanzen begann, verstummten die ersten Gespräche. Bald redete kaum noch einer, und auch Achard von Rialt wandte sich dem Spielmannspaar zu. Er ergriff seinen Krug und begann, rhythmisch damit auf die Tafel zu klopfen. Andere taten es ihm gleich, und bald schlugen Dutzende Krüge einen wilden Rhythmus aufs Holz. Faun hatte Mühe, mit seiner Flöte dagegen anzuspielen, doch für eine Weile erlag sogar er der Faszination, die sich aus seiner Melodie und

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