Herrin der Lüge
darum.
Ein Jaulen ertönte, gefolgt von Steinprasseln. Im selben Moment – oder gar eine Winzigkeit vorher? – bebte der Boden erneut. Und diesmal war Faun ganz sicher, dass er sich die Erschütterung nicht eingebildet hatte.
Die Pferde erstarrten vor Schreck und Verwirrung.
»Nicht stehen bleiben!«, rief Elegeabal gehetzt.
»Der Berg stürzt ein!«, gab Tiessa zurück.
Der Alte gab keine Antwort. Der Schein seiner Öllampe wanderte an den Wänden eines verwinkelten Tunnels entlang, kaum breiter als ein Wehrgang.
Faun kam es so vor, als atmete er Staub ein, aber es war zu finster, um mit Sicherheit sagen zu können, ob wirklich Erdreich oder gar Gestein von der Decke rieselte.
»Komm«, zischte er Tiessa zu, »er hat Recht. Da draußen sind Hunde!«
Ziehend und zerrend brachten sie die Pferde dazu, sich tiefer in die Höhle hineinzubewegen. Die Hunde wurden wahrscheinlich an Leinen gehalten, sonst hätten sie sie längst eingeholt. So aber schleppten sie ihre Führer hinter sich her, die in dem schwierigen Gelände nicht viel schneller vorankamen als die drei Flüchtlinge.
Nach zwanzig oder dreißig Schritten verbreiterte sich der abschüssige Tunnel zu einer Art Blase im Gestein, einer nahezu runden Höhle, vor deren Stirnseite ein brusthoher Steinblock thronte. Er war nicht viel breiter als ein mächtiger Baumstamm, zwei Menschen hätten ihn mühelos umfassen können. Seine Ecken waren von den Zeitaltern rund geschliffen, ganze Teile abgebröckelt. Das obere Ende bestand aus einer Vertiefung, einem längst erloschenen Feuerbecken. Selbst in seiner Panik nahm Faun die verwunschene Aura dieser Grotte wahr.
In die Höhlenwände waren Reliefs eingelassen, manche zerfallen, andere erstaunlich gut erhalten. Am besten zu erkennen war ein riesiger Stier mit eingeknickten Vorderbeinen; ein Mann beugte sich über das verletzte Tier und zielte mit einem Dolch auf seinen Hals.
»Das Amulett«, flüsterte Tiessa und presste die Faust noch fester um den Anhänger. »Genauso ein Stierkopf wie der da.«
»Ein römischer Tempel des Mithras.« Ungeduld sprach aus Elegeabals Stimme. Er deutete auf einen Spalt hinter dem Feueraltar, den Faun auf den ersten Blick für eine dunkle Stelle im Gestein gehalten hatte. »Dort entlang.«
Vom anderen Ende des Tunnels ertönten jetzt Stimmen, verfremdet von sonderbaren Echos, die hier unten jeden Laut verstärkten. Scharren und Rascheln und, noch schlimmer, ein gieriges Hecheln.
Hastig drangen die drei durch den Spalt tiefer in das Gebirge vor. Zu Fauns Erstaunen folgten ihnen die Pferde ohne jeden Widerstand, wohl weil auch sie die Hundemeute witterten.
Tiessa war direkt hinter Elegeabal. »Was sind Panzerhunde?« flüsterte sie.
»Riesige Wolfshunde, die Achard als Welpen zähmt und dann monatelang frei in der Via Mala umherstreifen lässt. Keiner weiß genau, was dort mit ihnen geschieht. Aber die wenigen, die sich später wieder einfangen lassen, sind verändert. Sie scheinen noch größer zu sein als vorher und viel muskulöser. Ihre Zähne sind länger und ihre Augen wie tot. Und ihr Fell ist zu etwas verkrustet, das wie Horn aussieht. Kein Wasser kann es wieder lösen, und es bedarf einer scharfen Klinge, um hindurchzustoßen.«
»Was ist mit denen, die nicht wieder gefangen werden?«, fragte Faun, weil ihn das von dem schrecklichen Hecheln ablenkte.
»Manche verschwinden einfach. Ein paar verlieren den Verstand und verkriechen sich in irgendwelchen Löchern und Spalten zum Sterben. Einige werden auch getötet, wenn sie Achards Kriegern begegnen. Aber nicht selten ist es umgekehrt. Ein paar laufen angeblich jahrelang frei in der Schlucht umher, auch wenn ich noch keinen gesehen habe. Mag aber sein, dass nicht alle verschollenen Reisenden in diesen Bergen ihr Schicksal Achard zu verdanken haben.«
»Vielleicht verirren sie sich in den Höhlen«, sagte Faun und wünschte sogleich, er hätte das nicht gesagt. Tiessas Bewegungen wurden noch steifer. Auch er selbst verspürte lähmende Beklommenheit.
Die Öllampe riss nur ein kleines Stück Felsboden aus der Dunkelheit. Was jenseits davon lag, blieb ungewiss. Die Grotte war viel zu weitläufig. Außer am Eingang reichte das Licht nirgends bis zu den Wänden.
»Können wir den Spalt verbarrikadieren?« Faun blickte sich zu der Öffnung um, durch die sie die Grotte betreten hatten.
Elegeabal hob die Laterne über seinen Kopf. »Hier gibt es nichts, das sie aufhalten würde. Aber die Hunde wären längst da, wenn ihre
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