Herrin der Lüge
mit eigenen Augen siehst.«
Das Kläffen erreichte einen neuen Höhepunkt – es sind mindestens drei, dachte Faun mit einem Schaudern, vielleicht mehr –, dann brach es unvermittelt ab.
»Schneller«, zischte der Traumdeuter und eilte voran durch das Wasser. Der Saum seines Gewandes wurde von der Strömung mitgezerrt, aber er behielt schwankend das Gleichgewicht und kämpfte sich mit Hilfe seines Stabes weiter voran. In der anderen Hand hielt er hocherhoben die schaukelnde Öllampe. Der Fluss reichte ihnen fast zu den Hüften; Tiessa sogar bis zum Bauch.
Faun schaute sich um, konnte aber in der Finsternis des Ufers nichts erkennen. Der Hang und die Felsen darüber waren eine kompakte schwarze Masse ohne Konturen. »Sie bellen nicht mehr. Vielleicht sind sie weg.«
»Nein«, keuchte Elegeabal. »Panzerhunde verstummen, wenn sie die Fährte aufgenommen haben. Sie schleichen sich an ihre Beute heran.«
Ein Pferd wieherte schrill, als es etwas witterte, das ihm Angst machte.
»Sie sind ganz nah«, rief der Traumdeuter. Er gab sich jetzt keine Mühe mehr, seine Stimme zu dämpfen.
Von ihnen allen hatte Tiessa am meisten mit der Strömung zu kämpfen. Obwohl das Flussbett hier recht breit war und dem wild aus den Bergen schießenden Wasser dadurch viel von seiner Kraft nahm, drohte sie immer wieder umgeworfen zu werden. Schließlich zog sie sich in den Sattel und ließ sich von dem Schimmel tragen. Das Pferd kämpfte sich weiter voran.
Die Hunde können uns nicht folgen, redete Faun sich ein. Das Wasser wird sie fortreißen.
Aber Elegeabal hastete weiter und schaute sich nicht nach ihnen um, so als säße ihm der Teufel selbst im Nacken.
Ein kurzes Heulen ertönte, dann war wieder Stille. Faun glaubte Männerstimmen hinter ihnen am Ufer zu hören, aber als er sich umsah, war da nur Dunkelheit. Möglich, dass er sich getäuscht hatte. Der Fluss musste jeden Laut übertönen.
Sie erreichten die andere Seite und schleppten sich eine steile Geröllhalde empor. Mit ihrem nassen Schuhwerk drohten sie auf dem Schiefer immer wieder abzurutschen, auch die Pferde hatten es schwer. Auf dieser Seite wurde das Ufer von einem fahlen Mond beschienen, der grau über die Gipfel im Osten blickte. Düstere Fichten standen hoch oben in der Steilwand, dazwischen beugten sich zerklüftete Vorsprünge weit über den Abgrund. Einen Augenblick lang war es Faun, als bebte der Boden, doch das führte er auf seine Erschöpfung und auf den Kampf um sein Gleichgewicht zurück.
Tiessa glitt aus dem Sattel zurück auf den Boden. Ihr blondes Haar klebte als nasser Strähnenfächer auf ihrem Rücken.
»Weiter, macht schon!«, forderte Elegeabal. »Sie kommen!«
Tiessa und Faun schauten zurück über das Wasser, das nach wenigen Schritten mit der Schwärze des gegenüberliegenden Ufers verschmolz. Da war noch immer nichts zu sehen. Schon gar kein Hunderudel.
Der Traumdeuter stieg zwischen Fichten einen kurzen Hang empor. »Sie sind hinter uns! Beeilt euch!«
Plötzlich war es gleichgültig, ob sie ihre Verfolger sehen konnten oder nicht. Die Panik in der Stimme des Alten trieb sie vorwärts. Faun verschluckte sich an seinem eigenen Atem stolperte, kämpfte sich weiter.
Hinter den Fichten versank wieder alles im Schatten. Die steile Felswand, die vor ihnen in die Höhe wuchs, konnten sie nur erahnen. Die bizarren Überhänge weiter oben schoben sich so über die Schlucht, dass es Faun für einen Moment lang vorkam, als befänden sie sich bereits in den Höhlen, von denen Elegeabal gesprochen hatte.
Vom Flussufer drang ein Platschen und Klatschen herauf, das sich vom gleichförmigen Rauschen der Wassermassen unterschied. Elegeabal hatte Recht. Da näherte sich etwas.
Eilig führte der Traumdeuter sie am Fuß der Felswand entlang und umrundete einen gewaltigen Findling. Plötzlich fiel der Schein seiner Öllampe auf eine Öffnung im Fels. Ihre Ränder erglühten matt im Licht der Flamme, ein verwinkelter rotgelber Rahmen um Elegeabals Silhouette.
»Hier ist es!«, ächzte der alte Mann. »Seid vorsichtig. Der Boden ist abschüssig.«
Sie folgten ihm durch den Höhleneingang, und noch während Faun über die Schwelle dieses unterirdischen Reiches trat, spürte er, wie etwas hinter ihnen herankam.
Stolpernd, mit zusammengepressten Lippen folgten sie dem Traumdeuter ins Innere des Gebirges. Faun hatte das Amulett, das Elegeabal ihnen gegeben hatte, längst vergessen, aber Tiessa zog es jetzt unter dem Lederwams hervor und schloss die Faust
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