Herrin der Lüge
mindestens zwei Monate in diesen Verschlagen hausen. Und ich dachte, ein wenig mehr Schönes könnte nicht schaden.«
Saga starrte sie entgeistert an und bemerkte erstmals die bunten Halbmonde unter Jorindes Fingernägeln. »Du hast deine Kabine bemalt?«
Jorinde nickte verlegen.
»O Himmel.«
»Und mit Stoffen bespannt. Schönen Stoffen. In allen Farben und mit Mustern bestickt und –«
»Angelotti wird toben.«
»Angelotti wird meine Kabine nie betreten, oder?«
Ein Grinsen stahl sich auf Sagas Züge, als sie sich das Gesicht des vierschrötigen Kapitäns vorstellte. Jorinde mochte etwas von einem kleinen Mädchen an sich haben, doch zugleich besaß sie eine Eigenschaft, die Weisheit zumindest nahe kam – sie würden sich alle in der Tat noch oft genug wünschen, von Schönem umgeben zu sein.
»Zeigst du’s mir?«, fragte Saga.
Jorindes Lächeln verlor den leidenden Zug, der ihren Zügen sonst so oft innewohnte. »Komm«, sagte sie.
Gut gelaunt wandten sie sich der Treppe zu, als vom Kai plötzlich Rufe heraufschallten. Sagas Miene verdüsterte sich, besorgt sprang sie zurück an die Zinnen. Jorinde trat neben sie. »Was ist los?«
Inmitten der allgemeinen Aufbruchstimmung, zwischen den Mannschaften der Ruderer mit nackten Oberkörpern, Mädchen, die noch auf ihre Einschiffung warteten, Schaulustigen, die von Berengarias Kriegerinnen zurückgehalten wurden, und Angelottis Befehlshabern, war ein Wagen aufgetaucht, gezogen von vier prachtvollen Rössern. Das Gefährt selbst wirkte nur auf den ersten Blick schlicht, denn dann erkannte Saga die feinen Zierleisten rund um das Dach und die Fenster, die metallbeschlagenen Stufen unterhalb des Einstiegs und die farbigen Wimpel am Geschirr der Pferde. Offenbar hatte sich die Kutsche ohne Erlaubnis dem Schiff genähert, indem sie eine Bresche in die Menge der Umstehenden getrieben hatte. Es schien keine Verletzten zu geben, aber viele schüttelten die Fäuste und brüllten Beschimpfungen in unverständlichen Dialekten.
Berengaria eilte gerade mit donnernden Schritten über eine Planke an Land; das Holz federte unter ihren Stiefeln, als wollte es sie abwerfen. Aus einer anderen Richtung kam Violante herbei, umgeben von einer sechsköpfigen Leibgarde, die Berengaria für sie abgestellt hatte. Sagas eigene Leibwächterinnen warteten zu viert am Fuß der Treppe auf dem Hauptdeck; zwei weitere standen in gebührendem Abstand hinter ihr und Jorinde auf der anderen Seite des Achterkastells. Saga hatte beinahe vergessen, dass sie überhaupt da waren.
»Wer, zum Teufel –« Sie verschluckte den Rest des Satzes, als der Kutscher die Tür des Gefährts öffnete. Ein langes schlankes Bein erschien und trat auf die Eisenstufe; der Saum eines hauchdünnen, dunkelroten Kleides glitt eine Handbreit hinauf und entblößte einen gebräunten Knöchel über einer geschnürten Sandale. Die Frau, die da aus der Kutsche stieg, strahlte inmitten der Menge wie ein Rubin auf einem Haufen Asche. Rabenschwarzes Haar ringelte sich über ihre Schultern und fiel bis auf ihre Brust. Ihr Kleid war ungemein eng, blutrot vom Saum bis zu den Schultern. Sie war groß, nicht plump oder riesenhaft wie Berengaria, aber doch auffallend hochgewachsen, und sie besaß die gertenschlanke Eleganz einer Heiligenstatue.
Violante und sie redeten miteinander, die Gräfin erst sichtlich erzürnt, dann – als ihr Gegenüber ruhig blieb und sogar liebenswürdig lächelte – allmählich gelassener. Saga verstand kein Wort von dem, was gesprochen wurde, aber bald wehte ein Flüstern von den umstehenden Frauen zum Deck herauf.
»Karmesin«, wanderte ein einzelner Name von Mund zu Mund, ein tonloses Wispern und Raunen.
»Karmesin?«, wiederholte Jorinde und beugte sich weit über die Reling, als könnte sie die Fremde so besser erkennen.
Saga zog eine Grimasse. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was vorging. »Wer soll das sein?«
Jorinde warf ihr einen Blick zu, der immer noch ganz im Bann der rubinroten Erscheinung stand. »Die Kaiserkonkubine von Rom.«
Eine der Leibwächterinnen trat von hinten heran. »Karmesin«, sagte sie grimmig, »die Meisterhure der Päpste.«
»Könnte mir vielleicht irgendjemand –«
Saga verschluckte alle weiteren Worte, als sie den Fuß der Kastelltreppe erreichte und die Fremde im selben Augenblick von Violante an Deck der Santa Magdalena geführt wurde.
»Du hast noch nie von ihr gehört?«, fragte Jorinde, ohne den Blick von der Menschenansammlung um die rot
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