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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Holzzinnen klammerten. Ihr schien nicht wohl zu sein bei dem Gedanken, dass sich unter ihren Füßen kein Land befand. Kapitän Salvatore Angelotti – ein venezianischer Veteran zahlreicher Seeschlachten und Befehlshaber der Flotte – hatte Violante gewarnt, dass es unter den Kreuzfahrerinnen zu Seekrankheit kommen würde. Wie es aussah, würde die riesenhafte Kriegerin eine der Ersten sein, die darunter zu leiden hatten.
    Beim Anblick Berengarias musste sie wieder an Zinder denken. Sie vermisste ihn und fragte sich, ob es auch Violante so erging. Der Anblick Berengarias schien der Gräfin immer wieder aufs Neue klar zu machen, dass ihr die Zügel der Unternehmung entglitten waren. Vielleicht um dieses Gefühl wettzumachen, stürzte sie sich Hals über Kopf auf ihre Aufgaben, traf sich mit Angelotti und seinen Galeerenkapitänen und inspizierte die Quartiere der Frauen.
    Die Organisation erwies sich als makellos. Jedes Mädchen, das an Bord ging, erhielt ein Holzplättchen, auf dem eine Platznummer verzeichnet war. Die Plätze, die ihnen so zugewiesen wurden, verteilten sich über mehrere Decks und bezeichneten Rechtecke aus blanken Holzplanken; jedes war penibel vermessen, zweieinhalb Spannen breit und sieben Spannen lang. Bei Nacht würden die Frauen hier Kopf an Fuß liegen, Schulter an Schulter.
    Für die Führungsspitze des Kreuzzuges gab es auf dem Flaggschiff der Flotte eigene Kabinen. Violante, Saga, Berengaria und einige der Unterführerinnen des Begleittrupps hatten Kammern auf dem oberen Deck erhalten. Auch Jorinde wurde auf Sagas beharrlichen Wunsch dort untergebracht. Die meisten Kabinen lagen außen am Rumpf und besaßen Holzluken, die bei ruhiger See geöffnet werden durften.
    Kapitän Angelotti bat sie mit Nachdruck, alle unbenutzten Kleidungsstücke in Tuch einzuschlagen, um sie vor Ungeziefer zu schützen. Aus demselben Grund sollten alle Frauen nackt schlafen, nicht nur jene in den Einzelkabinen, sondern auch das Gros des Heeres auf den Unterdecks. Als Violante protestierte, machte er ihr in unmissverständlichen Worten klar, wie es um ihre Armee bald stünde, wenn erst Läuse und Flöhe die ersten Frauen in den Wahnsinn und womöglich gar über die Reling trieben. Er versicherte, dass die Ruderer auf getrennten Decks untergebracht seien und jeder Verstoß gegen Sitte und Anstand auf See hart bestraft werden würde; sollte ein Mann dabei ertappt werden, wie er heimliche Blicke auf die unbekleideten Mädchen werfe, werde er, Salvatore Angelotti, nicht zögern, ihn öffentlich auspeitschen und anschließend über Bord werfen zu lassen.
    Aber Sagas Sorge galt nicht allein den Ruderknechten. Fast zwei Monate hatte der Kapitän für die Überfahrt veranschlagt. Vielen Frauen würde es schwer fallen, so lange auf diesen Schiffen gefangen zu sein. Zwei Monate, die sich schnell wie zwei Jahre anfühlen würden, wenn man Nacht für Nacht mit ein paar hundert anderen auf engstem Raum in Dunkelheit und Gestank eingepfercht war.
    Zwischen den Ruderbänken, unten auf dem Hauptdeck, entdeckte Saga Jorinde. Die junge Adelige winkte ihr schüchtern zu und kam zum Achterkastell herüber. Im Augenblick wurden die Ruderer zu Verladearbeiten eingesetzt, die Riemenbänke waren verlassen. Wenn sich die Galeere erst in Bewegung setzte, würde jedes Ruder von mehreren Männern zugleich bedient werden. Sie waren keine Sklaven und wurden für die harte Arbeit gut bezahlt; doch selbst als Freiwillige waren ihre Rechte an Bord eingeschränkt.
    »Wo hast du gesteckt?«, fragte Saga, als Jorinde die Treppe zum Kastell heraufstieg. Ihr langes blondes Haar hatte sie am Hinterkopf zu einem strengen Knoten gebunden, was ihr blasses Gesicht noch schmaler erscheinen ließ. Saga war nie ganz sicher, ob sie Jorindes Antlitz nun für ätherisch oder kränklich hielt.
    »Da und dort.«
    Saga hob eine Augenbraue. »Da … und dort?«
    »Ich hab ein paar Dinge besorgt. In der Stadt.«
    »Du hast Mut. Da draußen muss es nur so wimmeln vor Dieben und Halsabschneidern.«
    »Diebe und Halsabschneider, hmm?« Jorinde lächelte verlegen und fügte hinzu, als sei das Erklärung genug: »Vergiss nicht mit wem ich verheiratet bin.«
    »Und was für Dinge sind das, für die du dein Leben aufs Spiel setzt?«
    Jorinde druckste verlegen herum. »Farben«, sagte sie kleinlaut. »Und Stoffe. Und … eine Blume.«
    Saga lehnte sich seitlich gegen die Zinnenbalustrade des Achterkastells. »Was tust du mit Farben? Und mit einer Blume?«
    »Wir werden

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