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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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parkten kaum retten konnte. Eine der vielen erfundenen Neuigkeiten, Legenden und Spinnereien, die über Bierkrügen und im fettigen Dunst gebratenen Schweinefleischs entstanden waren.
    Und nun saß eben diese Legende dort unten in der Kapitänskajüte und redete mit der Gräfin über … Gott weiß was.
    »Wenn du weiter so verträumt auf die Tür starrst«, sagte Saga zu Jorinde, »wird noch irgendwer behaupten, du würdest sie beneiden.«
    Jorindes abwehrende Geste war nicht halb so überzeugend, wie sie hoffte. Und im selben Moment begriff Saga, dass ihr diese Geschichte mindestens so viel über Jorinde erzählte wie über Karmesin.
    Berengaria polterte aus der Tür des Achterkastells. »Magdalena! Sie wollen dich sehen.«
    Saga nickte. Das hatte sie befürchtet. Und gehofft.
    Eher befürchtet.
    »Karmesin wird uns begleiten«, sagte die Gräfin, nachdem sie Saga und die Fremde einander vorgestellt hatte.
    »So?«
    Violante nickte. »Der Heilige Vater bittet uns in seinem Schreiben« – sie deutete auf ein entrolltes Pergament – »die Dame Karmesin in unsere Reihen aufzunehmen.« Sie sprach sehr betont und förmlich, ihre Züge hatten etwas Maskenhaftes.
    Im Hintergrund stieß Berengaria ein abfälliges Grunzen aus. »Und er macht deutlich, dass seine Bitte gar keine Bitte ist.«
    Die Lippen der Fremden verzogen sich zu einem feinen Lächeln. Ihr Gesicht war makellos und von zarter Bräunung. Ebenmäßige Zähne, weiß wie Gipfelschnee, blitzten im Wechselspiel mit ihren dunklen Augen. »Es ist eine Bitte, jedenfalls soweit es mich angeht. Wenn Ihr mir sagt, ich soll gehen, dann werde ich das tun.« Ihre Stimme war ohne jede Gereiztheit, so sanft, als spräche sie mit einem Kind. Oder Liebhaber.
    »Der Papst würde uns seine Unterstützung entziehen«, sagte Violante eisig. Sie hatte diesen Kreuzzug ins Leben gerufen, um sich die Hilfe der Ordensritter im Heiligen Land bei der Suche nach Gahmuret zu sichern, und sie hätte des Teufels Großmutter auf dieses Schiff eingeladen, wäre das die Voraussetzung für den vorbehaltlosen Beistand der Kirche gewesen. Sie konnte gar nicht anders, als dem Wunsch des Papstes Folge zu leisten.
    Saga schaute sich in der Kajüte um. Es war das erste Mal, dass man sie hierher gebeten hatte. Angelotti pflegte die meisten Besprechungen an Deck abzuhalten, weil er sich wie viele Seeleute ungern in geschlossenen Räumen aufhielt. Die Einrichtung – ein Schreibpult, drei Truhen, zwei festgenagelte Stühle – war schlicht genug, um niemanden in Versuchung zu bringen, hier unten mehr Zeit als nötig zu verbringen. Die Holzluken an der Rückwand standen offen. Gedämpfter Lärm von den Nachbarschiffen drang herein; das wenige Licht, das in die Kajüte fiel, umfloss sachte Karmesins Profil.
    Angelotti selbst war nicht anwesend, nur Violante, Berengaria, Saga und die Fremde. Saga musste immer wieder auf Karmesins Hände starren, auf diese langen, feingliedrigen Finger mit unfassbar ebenmäßigen Nägeln. Kein Schmutz darunter, kein Riss.
    Zu Sagas Erstaunen wandte sich Karmesin nun an sie. »Ich denke, die Entscheidung sollte bei Euch liegen. Ihr seid die Magdalena.«
    Da schwang etwas mit in der Art, wie sie den Namen aussprach, keine Huldigung wie bei den übrigen Frauen, kein forscher Zweifel wie bei Berengaria. Nicht einmal jene Selbstverständlichkeit, mit der Violante ihn vor anderen benutzte. Vielleicht Neugier?
    Saga sah Hilfe suchend zu Violante, aber von der Gräfin konnte sie keine Unterstützung erwarten. Violante war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Wut zu unterdrücken. Auch Berengaria presste erzürnt die vernarbten Lippen aufeinander.
    »Unser Kampf ist bestimmt von der Reinheit des Geistes und des Körpers«, zitierte Saga einen Satz aus einer ihrer Predigten, um Zeit zu schinden und weil ihr nichts Besseres einfiel. »Könnt Ihr versichern, dass Ihr –«
    »Dass ich Jungfrau bin?« Humor flackerte in Karmesins Obsidianaugen. »Gräfin, soweit ich weiß, habt Ihr einen Sohn geboren. Und Ihr, Berengaria, seid Ihr etwa ein Leben lang keusch gewesen?«
    Saga dachte: Jetzt wird sie mich fragen. Sie wird wissen wollen, ob ich noch Jungfrau bin. Und ich werde sie anlügen, wie ich es immer getan habe, und sie wird die Erste sein, die mir nicht glaubt. Sie weiß es. Sie sieht es.
    Aber Karmesin fragte sie nicht, und als auch die beiden anderen Frauen zu keiner Erwiderung ansetzten, sagte sie: »Ich werde Euch beweisen, dass es zu Eurem Vorteil ist, wenn Ihr mich aufnehmt.

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