Herrin der Lüge
Sommerabenden wie diesem vor seinem Haus sitzen und den Sonnenuntergang betrachten würde. Keine Kämpfe mehr, keine endlosen Fußmärsche oder Ritte. »Nur noch dasitzen«, sagte er gedankenverloren, »und fühlen, dass man angekommen ist.«
Tiessa fragte: »Und gibt es eine Frau, die all das mit dir teilen soll?«
Seine Miene, gerade erst aufgetaut, verdüsterte sich wieder. »Es gäbe eine, aber sie wird niemals irgendetwas mit mir teilen.«
»Ist sie auf einem dieser Schiffe?«, erkundigte sich Faun.
Zinder nickte. »Sie hat dafür gesorgt, dass sie überhaupt erst aufgebrochen sind.«
Faun und Tiessa starrten ihn an. Er erwiderte ruhig ihren Blick.
»Weiß Violante, dass du ihr folgst?« Tiessa hatte sich als Erste gefasst.
»Wohl kaum.« Er legte sich zurück und drehte ihnen den Rücken zu. »Und wenn, würde es nichts ändern.«
Während des ganzen nächsten Tages zogen sie weiter nach Süden und erreichten am Abend ein weites Ruinenfeld. Geborstene Säulen und die Grundmauern vergessener Bauten erhoben sich am Waldrand und erstreckten sich bis zum Rand der Kreideklippen. Das Gestein war rußgeschwärzt, aber die Flammen hatten hier keine Nahrung gefunden und nur am äußeren Rand des Ruinengeländes Buschwerk und Gras verzehrt. Im Westen versank die Abendsonne hinter den Bergen, ihre letzten Strahlen übergossen das Trümmerfeld mit goldenem Glanz. Krähen saßen auf den Säulen oder suchten zwischen den Ruinen nach Nahrung.
Zinder ließ Faun und Tiessa anhalten, bevor sie einen Fuß zwischen die Trümmer setzen konnten. »Wartet!«
»Was ist das?«, fragte Faun, der so etwas noch nie gesehen hatte.
»Eine Stadt der Römer«, sagte Zinder. »Oder eine ihrer Tempelanlagen.«
»Die Mauern da drüben sehen eher aus, als hätten sie einmal zu einer Festung gehört.« Tiessa deutete zur Steilküste, auf deren Kante an manchen Stellen noch Teile eines zinnengesäumten Walls zu erkennen waren. Die Distanz von dort bis zum Standort der drei Wanderer, quer durch das unübersichtliche Ruinenfeld, musste an die dreihundert Schritt betragen. Der Boden war voller Stolperfallen, das war selbst im schwindenden Licht zu erkennen. Aufrechte und umgestürzte Säulen flankierten geborstene Treppenstufen, überwucherte Fundamente und dunkle Flecken, hinter denen sich eingestürzte Keller und Kavernen verbergen mochten. Die Krähen krächzten und lieferten sich Duelle mit Möwen, die dann und wann über den Klippel 1 auftauchten. Mauersegler und Habichte kreisten über den Ruinen und stießen vereinzelt in die Tiefe.
»Dürfte nicht allzu schwer sein, hier irgendwo einen geschützten Platz für die Nacht zu finden.« Faun wollte weitergehen, aber Zinder hielt ihn am Oberarm zurück.
»Moment noch.« Der Söldner kniff die Augen zusammen und spähte voraus zwischen die Trümmer. Die untergehende Sonne tauchte das Gelände jetzt in leuchtendes Ocker. Schlagschatten wurden mit jeder Minute größer. Hier und da blinkte und blitzte etwas.
»Ist das Eisen?«, fragte Tiessa stirnrunzelnd.
Auch Faun blickte skeptisch auf die glänzenden Punkte inmitten der Steinwüste.
»Waffen«, murmelte Zinder düster. »Und Rüstzeug.«
Je länger Faun hinsah, desto mehr davon entdeckte er. Aber sie waren noch zu weit entfernt, um Einzelheiten auszumachen.
»Das ist ein Schlachtfeld«, stellte der Söldner fest. »Hier ist vor nicht allzu langer Zeit gekämpft worden.«
»Sieht irgendjemand Tote?« Tiessas Stimme klang belegt.
Faun schüttelte den Kopf.
Zinder packte den Astknüppel mit zwei Händen, während Faun seinen Dolch zückte; er hatte es aufgegeben, den Söldner nach dem Kettenschwert zu fragen. Tiessa tastete nach ihrem Messer, ohne ihren Blick von der unheimlichen Umgebung zu nehmen.
Die Ausläufer des verbrannten Waldlandes reichten bis an die vorderen Trümmer. Einst musste der Mauerwall das gesamte Gelände umgeben haben, doch auf der landeinwärts gelegenen Seite kündeten davon nur noch vereinzelte Steinquader.
Die drei näherten sich der Mündung des Weges in das Ruinenfeld. Gleich daneben, aber noch außerhalb des zerfallenen Walls, gab es eine weite Fläche, deren Boden tiefschwarz verbrannt und mit verkohltem Dickicht überzogen war. Sie war annähernd rund und maß einen guten Steinwurf von einer Seite zur anderen.
Erneut blieb Zinder stehen. »Da drinnen werden wir keine Leichen mehr finden.«
Tiessa und Faun sahen ihn fragend an.
»Sie sind alle hier draußen verbrannt worden.« Der Söldner
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