Herrin der Lüge
keine Ahnung. Jedenfalls nicht von allem.«
Faun blickte sich zu ihr um. Er war verwirrt, aber noch immer zu wütend auf Zinder, um nun auch noch Tiessa zu misstrauen. Sie hatte sich aufgesetzt, zog die Beine an und schlang die Arme um ihre Knie. Sie sah weder Faun noch den Söldner an, starrte nur gedankenverloren ins Feuer.
»Das hier ist ein Vertrag«, sagte Zinder und wedelte mit dem Pergament. »Fünf Namen stehen darunter.«
»Ich weiß«, sagte Faun trotzig.
»Die Männer, die das hier unterzeichnet haben, sind für den gescheiterten Kreuzzug vor sechs Jahren verantwortlich.« Zinder starrte wieder auf das Dokument, als könnte er nicht glauben, was da in brauner Tinte auf feinem Pergament stand. Es war nur eine einzige Seite, überzogen von der winzigen Handschrift eines geübten Schreibers. »Das hier ist die Vereinbarung, die sie damals getroffen haben. Sie haben sie alle unterzeichnet.«
»Das wissen wir«, sagte Faun wieder.
»Kannst du lesen, Junge?«
»Nein.«
»Und du, Tiessa?«
Faun kam ihr zuvor. »Kann sie nicht.«
»Tiessa?«, fragte Zinder. »Ist das die Wahrheit?«
Sie seufzte. »Ich weiß, was da steht, Zinder. Und, ja, ich kann lesen.«
Faun presste die Lippen aufeinander und schüttelte stumm den Kopf.
»Sei mir nicht böse«, bat Tiessa.
»Es gab Gerüchte.« Zinder machte einen Schritt auf Tiessa zu. »Vermutungen, über die wahren Hintergründe des Kreuzzuges. Aber hier steht alles schwarz auf weiß. Das ist der Beweis.«
Faun sah ihn irritiert an.
»Hier steht«, sagte Zinder, »dass ein Heer ausgehoben werden sollte, unter dem Vorwand, Jerusalem und das Heilige Land zu befreien. In Wahrheit aber diente es einem ganz anderen Zweck. Hier ist alles im Voraus geplant, jede Einzelheit: der Streit mit den Venezianern und die Schulden, die das Heer bei ihnen machen sollte, dann der Pakt mit dem Dogen, um als Ausgleich für die ausstehenden Zahlungen Konstantinopel anzugreifen!« Er ballte die leere Hand zur Faust, und Faun fürchtete schon dass er auch das Dokument zerknüllen und ins Feuer werfen könnte. »Damals glaubten alle, es sei Schicksal gewesen, oder Pech oder schlechte Planung. Stattdessen war es von langer Hand vorbereitet! Der Papst hat nicht etwa in letzter Minute versucht, die Zerstörung Konstantinopels zu verhindern – wie es im Nachhinein vom Heiligen Stuhl behauptet wurde. Ganz im Gegenteil – Innozenz war einer derjenigen, der vorausgesehen hat, was geschehen würde! Bischof Oldrich von Prag hat den Vertrag unterzeichnet. Er ist auch heute noch einer der engsten Vertrauten des Papstes.«
Faun runzelte die Stirn. Er erinnerte sich, was Tiessa ihm über die Zerschlagung der Ostkirche erzählt hatte.
Zinder ließ die Schultern sinken. »Einige von uns haben schon damals gemutmaßt, dass Innozenz seine Finger im Spiel hatte. Aber solange es keine Beweise gab … Er ist klug und ein geschickter Stratege. Er würde niemals zulassen, dass irgendetwas, das gegen ihn spricht, bekannt gemacht wird.«
Faun schnappte nach Luft, als ihm klar wurde, was Zinder da eben gesagt hatte. Damals, als Tiessa ihm das erste Mal das Dokument gezeigt hatte, hatte er die Tragweite des Ganzen noch nicht begriffen. Wenn dieser Bischof das Papier tatsächlich unterschrieben hatte, dann würde wohl so manch einer viel dafür geben, es zu vernichten.
Er schaute auf Tiessa, doch sie sah immer noch auf das Feuer, als gehe sie das alles nichts an.
Schließlich stand sie auf und wandte sich an Zinder. »Sag ihm ruhig, wer die anderen sind.«
Faun starrte sie verwundert an. »Aber du hast mir doch schon erzählt, wer –«
»Nenn ihm die Namen, Zinder.«
Der Söldner hielt Faun das Pergament vors Gesicht. »Das Siegel von Bischof Oldrich. Der Doge Enrico Dandolo. Daneben Bonifaz von Montferrat, der später das Heer angeführt hat.«
Faun blickte nervös von Zinder zu Tiessa und wieder zurück zu dem Söldner. Zwei Namen fehlten noch. Tiessa hatte behauptet einer der Unterzeichner sei ihr Vater gewesen.
»Der vierte ist Philipp von Schwaben«, sagte Zinder bitter. »Nicht, dass mich das überrascht.«
Philipp war nur wenige Jahre später mit dem Segen des Papstes zum römisch-deutschen König gekrönt worden. Erst nach seiner Ermordung hatte sein Erzrivale, Otto von Braunschweig, den Thron bestiegen – derselbe Despot, der nun in Italien Krieg führte.
Philipps Verwicklung in das Komplott von Konstantinopel war skandalös, aber keine wirkliche Überraschung. Seine Frau Irene war
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