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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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deutete auf die schwarze Fläche vor der Mauer, ein Pfuhl aus verschlackter Asche.
    Tiessa deutete auf das, was Faun für Dickicht gehalten hatte. Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Sind das Knochen?«
    Zinder nickte. »Die Sieger haben alle Toten aus den Ruinen hierher getragen und auf einem Scheiterhaufen verbrannt.« Sein Blick schweifte über die Ödnis des verwüsteten Waldlandes. »Jemand hätte besser dafür sorgen sollen, dass ein Abstand zu den vorderen Bäumen eingehalten wird.«
    Faun stellte sich einen haushohen Berg aus Körpern vor, verstümmelt und ausgeblutet. Womöglich hatte es Sterbende unter ihnen gegeben, halb bewusstlos, aber noch immer am Leben, als die Flammen nach ihnen tasteten. Er wandte eilig den Blick ab, um das verkohlte Knochengewirr am Boden nicht genauer betrachten zu müssen.
    Tiessa hingegen trat fasziniert ein paar Schritte näher an die Überreste des monströsen Scheiterhaufens heran. »Da sind noch Schädel!«
    Faun nahm sie am Arm und zog sie in Richtung der Ruinen. Nach ein, zwei Schritten wurde sie schneller und folgte ihm so überhastet, dass sie stolperte und beinahe gestürzt wäre.
    Zinder starrte nachdenklich über das Feld aus Menschenasche, dann umfasste er den Knüppel fester und holte raschen Schritts zu den beiden auf.
    »Wer hat hier gekämpft?«, fragte Faun.
    Zinder nickte in Richtung der Eisenreste zwischen den Steinen. »Das werden wir wissen, sobald wir ein Wappen oder Feldzeichen finden.«
    Die meisten Waffen und Rüstungsteile waren unbenutzbar: zerschmetterte Helme, zertrümmerte Harnische, geborstene Schwertklingen. Für gewöhnlich sammelten die Schmiede, die jedes Heer begleiteten, solche Eisenteile auf, um sie als Rohmaterial für neue Waffen und Rüstungen zu verwenden. Dass sie es hier nicht getan hatten, konnte nur bedeuten, dass es sich bei den Siegern um ein reiches und gut ausgerüstetes Heer gehandelt hatte, das es nicht nötig hatte, sich mit dem Auflesen und Transportieren von Eisenabfall abzuplagen.
    Die Bestätigung erhielten sie wenig später, als Zinder aus einem Gesteinsspalt ein zerfetztes Banner zerrte. Die ausgefransten Ränder waren blutgetränkt; es sah aus, als habe jemand den Stoff als Wundverband genutzt. »Ich hab’s gewusst«, sagte er leise.
    »Die Farben des Kaisers?« Faun schaute sich um, aber sie waren noch immer die einzigen Menschen inmitten der Trümmerwüste. »Das kaiserliche Heer ist hier durchgezogen?«
    »Wer weiß, wen sie besiegt haben.« Zinder ließ das Banner vom Wind davontragen. Es schlängelte sich in der Luft um sich selbst, ehe es hinter geborstenen Kalksteinblöcken verschwand. »Die Armee irgendeines rebellischen Fürstentums, vermutlich. Ein paar Soldaten und zwangsrekrutierte Bauern. Arme Schweine.«
    »Vielleicht waren es die Männer des Kaisers, die verloren haben«, sagte Faun.
    »Unwahrscheinlich. Dann wäre das Feuer dort draußen um ein Vielfaches größer gewesen. Otto ist nach Italien gezogen, um den gesamten Süden zu unterwerfen. Er hat tausende Männer in seinem Gefolge.«
    »Und der Papst sieht tatenlos zu? Süditalien untersteht der Kirche, nicht dem Kaiser.«
    »Innozenz hat den Kaiser exkommuniziert. Aber der Heilige Vater lässt es nicht auf einen offenen Krieg ankommen, der in Windeseile ganz Europa in einen Scheiterhaufen verwandeln könnte. Und Innozenz ist klüger als Otto. Auf lange Sicht wird sich der Papst immer gegenüber dem Kaiser durchsetzen.«
    »Er sollte Otto nicht unterschätzen«, mischte sich Tiessa gedankenverloren in das Gespräch. »Und du auch nicht, Zinder.«
    Der Söldner zuckte die Schultern. »Vielleicht wird er uns alle noch mit Weisheit und Weitsicht überraschen, wenn er sich erst einmal entschließt, sich wieder um sein eigenes Volk zu kümmern, statt tausende Meilen entfernt Wälder niederzubrennen und ein paar Bauern niederzumetzeln.«
    »Was glaubst du, wie lange sie fort sind?«, fragte Faun.
    »Schwer zu sagen. Ihr Ziel ist Sizilien. Dort lebt Barbarossas fünfzehnjähriger Enkel Friedrich, der letzte Staufer, der Otto den Thron noch streitig machen könnte. Wenn der Kaiser ihn besiegt, ist seine Herrschaft gesichert.« Er blickte sich um, tiefer in das Labyrinth der Tempeltrümmer und zerfallenen Säulenarkaden. »Kommt, suchen wir uns einen Lagerplatz.«
    Der Söldner schaute sich nach Tiessa um. Sie war auf eine Gesteinskante gestiegen und überblickte von dort aus das Ruinenfeld. Der Wind spielte mit ihrem blonden Haar. »Tiessa, lass uns

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