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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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diesen Ausdruck schon viele Male bei ihr gesehen und sich oft darüber geärgert, weil er es für Arroganz gehalten hatte. Aber jetzt begriff er, dass sie bereits mehr erlebt, mehr durchgemacht hatte als die meisten Menschen am Ende ihres Lebens.
    »Glaub mir einfach«, sagte sie. »Vielleicht mag er dich nicht besonders, aber ich bin für ihn so etwas wie eine Tochter.«
    Faun tat es mit einem Achselzucken ab, aber der Gedanke dass der Hofkanzler draußen vor der Tür stehen mochte, beunruhigte ihn weiterhin.
    »Ich wollte mit dir reden«, sagte er unsicher.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte mit dir reden. Du hast es mir nur angesehen und dafür Kopf und Kragen riskiert.«
    »Glaubst du wirklich, ich hätte gehen können, ohne dich, ohne mich von dir zu verabschieden?«
    Sie wandte den Kopf ab, und als er einen Schritt um sie herum machte, sah er, dass sie weinte. Ganz unvermittelt, als hätten die Tränen nur auf ein Stichwort gewartet, um endlich fließe zu dürfen.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte sie, als er sie in die Arme nah“ »Ich hätte dich nicht belügen sollen.«
    »Doch«, sagte er sanft und streichelte ihren Hinterkopf an seiner Schulter. »Hättest du mir von Anfang an die Wahrheit gesagt, wäre ich wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit abgehauen und hätte so viele Meilen wie nur möglich zwischen uns gebracht.«
    Sie lachte und schluchzte zugleich. »Dann hättest du deine Schwester jetzt vielleicht eingeholt.«
    »Ganz bestimmt nicht. Spätestens auf Hoch Rialt hätten Achards Männer mich ohne dich umgebracht. Wenn ich überhaupt bis dorthin gekommen wäre.«
    Sie standen eine Weile eng umschlungen da. Faun war es jetzt gleichgültig, ob Scharffenberg vor der Tür wartete. Der Kaiser selbst hätte eintreten können, und Faun hätte Tiessa nicht losgelassen.
    »Wenn ich an dich denke, dann denke ich an Tiessa. Nicht an Beatrix«, murmelte er in ihr Haar.
    »Beatrix ist auf Schloss Dankwarderode zurückgeblieben. Aber ich … Ich will nur bei dir sein.«
    Er hatte einen solchen Kloß im Hals, dass er darauf nichts zu erwidern wusste. Er roch ihr frisch gewaschenes Haar und dachte, dass er selbst noch genauso schmutzig war wie bei ihrer Ankunft. Sie gab ihm nicht das Gefühl, als müsste ihm das unangenehm sein.
    Noch einen Augenblick länger blieb sie in seinen Armen stehen, dann löste sie sich ganz sanft von ihm, fasste an dem Medaillon vorbei in ihren Ausschnitt und zog das geheime Dokument hervor. Sie hatte es einmal gefaltet, damit es unter dem engen Seidenstoff Platz fand. Jetzt strich sie es zwischen den Fingern glatt und betrachtete es mit seltsamem Befremden.
    »Ich hab das mitgebracht, weil ich nicht weiß, wohin damit«, sagte sie. »Jetzt kommt es mir ziemlich unwichtig vor.«
    Faun sah über den Rand des Dokuments in ihr Gesicht. Die Sonne Italiens hatte ihre Haut gebräunt, aber sie wirkte trotzdem blass.
    »Ich hab nie verstanden, was du überhaupt damit vorgehabt hast.«
    Sie zuckte die Achseln. »Eine Zeit lang dachte ich sogar mal, ich könnte es Otto geben. Verrückt, oder? Meines Vaters Hofkanzler dient jetzt seinem Feind. Seine Tochter wird ihn sogar heiraten. Und das hier, der Beweis, dass er in eine der größten Verschwörungen des Christentums verwickelt war, wäre beinahe ebenfalls in der Hand seines Gegners gelandet.«
    »Jedenfalls hassen sich der Kaiser und der Papst genug, dass Otto Innozenz’ Verwicklung in die Verschwörung durchaus ausnutzen könnte.« Faun hatte darüber nachgedacht, in seltsamen, unzusammenhängenden Gedankensplittern, immer dann, wenn die Vorstellung von Tiessa vor dem kaiserlichen Traualtar ihm einen Augenblick Ruhe gegönnt hatte. »Otto wäre wahrscheinlich der Einzige, der Grund und Mut genug hätte, die Mitschuld des Papstes am Untergang Konstantinopels bekannt werden zu lassen. Wenn die einzelnen Fürstenhäuser des Reiches Einblick in diesen Vertrag bekämen …« Er brach ab, weil es ihm plötzlich absurd erschien, in einem Augenblick wie diesem – vielleicht ihrem letzten miteinander – über etwas so Unwichtiges wie Reichspolitik zu sprechen.
    Aber Tiessa nickte langsam. »Otto hätte tatsächlich jeden Vorteil davon.« Sie schwenkte das Pergament achtlos hin und her, keineswegs wie etwas, dass sie über tausende von Meilen unter Einsatz ihres Lebens vor Schaden bewahrt hatte. »Aber, verstehst du, ich kann es ihm nicht geben.«
    »Warum nicht?«
    »Wenn er es den Fürsten zugänglich machen würde – und das

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