Herrin der Lüge
Überraschung an, die eine Augenbraue missbilligend erhoben, machte aber keine Anstalten, einzuschreiten.
Faun ließ Tiessa nicht los. Sie hob den Kopf von seiner Schulter und blickte dem Hofkanzler entgegen.
»Nicht jetzt«, sagte sie nur. Trotz ihrer Verfassung brachte sie einen unmissverständlichen Befehlston zustande.
»Verzeiht, Prinzessin«, sagte Scharffenberg steif, aber dann lockerte er sich, blieb in der Kammer stehen und drückte die Tür hinter sich zu. »Gebt mir das Dokument. Euer Vater hätte es so gewollt.«
Tiessa löste sich von Faun und fuhr auf. »Ihr habt uns belauscht!«
»Ihr habt mich gebeten, vor der Tür zu warten. Und das Holz ist nicht dick.«
Tiessa wollte widersprechen, aber er brachte sie mit einem Kopfschütteln zum Schweigen. »Diese Angelegenheit ist von zu großer Wichtigkeit, um Zeit mit Höflichkeit und Etikette zu verschwenden. Ich war Eurem Vater immer treu ergeben, und ich bin Euer Freund, Prinzessin. Wenn dieses Dokument das ist, was ich vermute, dann bringt es Euch in unnötige Gefahr.«
»Ich bin wochenlang damit durchs Land gewandert und habe es überlebt.«
»Ja«, sagte Faun bitter, »aber jetzt weiß er davon.« Anklagend deutete er auf den Hofkanzler. Er erwartete empörten Protest, doch Scharffenberg schenkte ihm kaum Beachtung.
»Dieser Vertrag hat bereits anderen nichts als Unglück eingebracht«, sagte der Kanzler. »Bonifaz von Montferrat ist tot, genau wie der Doge von Venedig und Euer Vater. Und Graf Gahmuret von Lerch … Gott weiß, was aus ihm geworden ist … Allein Papst Innozenz genießt noch immer alle Vorteile, die seine Unterschrift auf diesem Dokument ihm eingebracht hat. Er als Einziger ist übrig geblieben. Gibt Euch das nicht zu denken? Der Papst wird keine Ruhe geben, bis er sicher sein kann, dass auch Philipps Abschrift des Vertrages zerstört ist.«
Faun traf einen Entschluss. Möglich, dass er ihn später bereuen würde. Tatsächlich tat er das schon, während er die Hand ausstreckte, Tiessa das Pergament entriss und damit von der Bettkante aufsprang. Mit einem Satz stand er neben der Öllampe, von deren offener Flamme sich eine schwarze Rußfahne zur Decke schlängelte.
»Faun!« Auch Tiessa sprang auf, aber sie folgte ihm nicht, stand einfach nur da, als wäre sie mit einem Mal froh, dass ihr die Entscheidung abgenommen wurde.
»Tu das nicht!«, rief Scharffenberg, als Faun das eine Ende der Pergamentrolle nah an die Flamme brachte.
Er zögerte noch einmal, sah Tiessa an, konnte aber nicht erkennen, was sie dachte. Sie presste nur die Lippen aufeinander und blickte wie gebannt auf das Dokument und die nahe Ölflamme.
»Bleibt stehen!«, warnte Faun den Hofkanzler.
Scharffenberg erstarrte in der Bewegung, wippte dann einen halben Schritt zurück, bis er wieder mit beiden Füßen fest auf dem Boden stand. Beschwörend hob er die Hände. »Du weißt nicht, was du tust!«, stieß er leise her vor.
»Was wollt Ihr damit tun?«, fragte Faun. »Und erzählt mir nicht, dass es Euch nur um Tie- … um Beatrix’ Wohlergehen geht. Wollt Ihr den Vertrag dem Kaiser aushändigen? Oder treibt Ihr Euer eigenes Spiel?«
Scharffenberg schüttelte langsam den Kopf, zornig und hilflos zugleich. »Wie kommst du dazu, über mich zu urteilen, Junge? Ich habe unter dem alten König gedient, und heute diene ich dem Kaiser. Ich habe Herrscher kommen und gehen sehen, aber nie habe ich einen verraten oder ihm sonst wie geschadet. Sei vorsichtig mit deinen Vorwürfen.«
Faun schüttelte unwillig den Kopf. »Der Inhalt dieses Vertrages darf nicht bekannt werden. Wenn die Fürsten davon erfahren, gibt es einen neuen Bürgerkrieg.«
»Aber der Papst –«
»Für den Papst mag es von Vorteil sein, wenn das Dokument verbrennt, das ist wahr. Aber besser, wir vernichten es jetzt sofort, als dass er seine Häscher auf die Prinzessin ansetzt. Was würde wohl geschehen, wenn er erführe, dass die künftige Kaiserin über seine Verwicklungen in den Angriff auf Konstantinopel Bescheid weiß? Denkt Ihr denn wirklich, er würde das Risiko eingehen, dass man ihr Glauben schenkt, ob mit oder ohne diesen Vertrag?«
Tiessa rührte sich noch immer nicht, sah ihn nur an, hin und her gerissen zwischen ihrem Pflichtgefühl gegenüber dem letzten Willen ihres Vaters und der Vernunft, die aus Fauns Worten sprach.
Scharffenberg schien ernsthaft zu erwägen, mit dem Schwert auf Faun loszugehen. Aber er sah wohl ein, dass dies erst recht das Ende für das kostbare Pergament
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