Herrin der Lüge
bedeutet hätte.
»Ich bin König Philipp noch immer verpflichtet«, sagte er, »auch nach seinem Tod. Wenn es sein Wunsch war, das Dokument zu verwahren, dann sollten wir … dann sollte seine Tochter das respektieren. Und wenn damit gar noch dem Kaiser in seinem Kampf gegen den Papst geholfen werden kann, umso besser.«
»Und der Frieden im Reich?«, fragte Faun. »Bedeutet der Euch denn gar nichts?«
»Das Reich hat einen Krieg überstanden, es übersteht auch einen zweiten. Das Reich wird noch in tausend Jahren bestehen, solange niemand die Entscheidungen seiner Herrscher anzweifelt.«
Tiessas Blick wanderte zum Hofkanzler hinüber, und jetzt lag zum ersten Mal tiefe Abneigung darin. »Was sagt Ihr da?«
»Euer Vater hätte es so gewollt.«
»Mein Vater hat gewollt, dass tausende von Rittern und Soldaten zu einem Kreuzzug ausziehen, der vor allem ihm selbst und seinen vier Mitverschwörern dienlich war … Der Wille meines Vaters ist hier nicht mehr ausschlaggebend.«
»Wie könnt Ihr das sagen? Philipp war ein guter König.«
»Und ich habe ihn geliebt, wie eine Tochter einen Vater nur lieben kann. Aber das hier hat damit nichts zu tun.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Gott, ich war so dumm! Ich hätte das schon viel früher erkennen müssen. Niemandem ist gedient, wenn die Wahrheit über diesen Vertrag bekannt wird. Außer vielleicht dem Kaiser. Aber will er tatsächlich über ein gespaltenes Reich herrschen? Ober Untertanen, die sich gegenseitig zerfleischen? Glaubt Ihr das denn wirklich?«
»Diese Entscheidung sollten wir allein ihm überlassen.«
Tiessa schnaubte verächtlich. »Mach schon«, sagte sie zu Faun. »Verbrenn es.«
Scharffenberg war ein Mann, der stets nur versuchte, es seinen Herren recht zu machen. Es ging nicht darum, was er selbst dachte oder wollte. Einst war er Philipp ergeben, heute galt seine Treue Otto. Durch die Sicherstellung des Dokuments glaubte er beiden Herrschern zu Diensten zu sein.
»Nein!«, brüllte Scharffenberg und stürzte mit ausgestreckten Armen nach vorn.
Tiessa wollte sich vor ihn werfen, aber er fegte sie mit einem Schlag zurück aufs Bett.
Faun sah ihn kommen, war einen Moment lang überrascht – dann hielt er das Pergament ins Feuer.
Der Hofkanzler heulte auf, als ginge er selbst in Flammen auf. Er prallte gegen Faun und riss ihn zu Boden. Noch im Fallen ließ Faun das brennende Pergament los. Es flog trudelnd Richtung Fenster, prallte aber gegen die Kante und segelte lodernd an der Innenwand entlang zu Boden. Dort blieb es liegen, während die Flammen höher züngelten.
Scharffenberg achtete nicht mehr auf Faun. Sie lagen jetzt beide übereinander, aber der Hofkanzler strampelte sich los, kroch über Faun hinweg und holte aus, um die Flammen zu ersticken. Faun rammte ihm von unten das Knie in den Magen. Der alte Mann brüllte auf, aber er griff weder nach seinem Schwert, noch wehrte er sich. Mit Tränen in den Augen versuchte er erneut, an das brennende Pergament heranzukommen. Seine flache Hand hieb ins Feuer, aber der Schlag reichte nicht aus, die Flammen zu ersticken. Funken und Aschefetzen sprühten zwischen seinen Fingern hervor. Scharffenberg schrie auf, wollte erneut zuschlagen, doch da gelang es Faun, ihn von sich zu stoßen. Der Hofkanzler prallte mit dem Kopf gegen den Holzrand des Bettes, trat zugleich nach Faun und traf ihn zwischen den Beinen. Faun bekam keine Luft mehr, rollte sich zusammen und dachte, er müsste vor Schmerz das Bewusstsein verlieren. Scharffenberg sprang auf und trat triumphierend auf das Dokument. Die Flammen erloschen unter seinem Stiefel; sie hatten fast die Hälfte des Vertrages aufgezehrt, aber der Rest war unversehrt.
Tiessa flog wie eine Furie auf Scharffenberg zu, und diesmal klammerte sie sich an ihn, um ihn davon abzuhalten, das Pergament vom Boden aufzuheben. Er wehrte sich gegen sie, wenn auch nur halbherzig. Noch immer hielten ihn Pflichterfüllung und Zuneigung davon ab, ihr wehzutun. Sie aber ließ sich davon nicht beirren und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Aufheulend packte er sie mit beiden Händen, riss sie von sich und schleuderte sie nach hinten – diesmal nicht auf das weiche Bett, sondern auf den Boden vor der Tür. Polternd kam sie dort auf.
Faun sah, was mit ihr geschah. Nicht weit von ihm lagen ihre Waffen, sein eigener Dolch und – noch näher bei seiner Hand – Zinders Schwertgurt, den der Söldner in der Kammer gelassen hatte. Zwischen seinen Fingerspitzen und dem Knauf des
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