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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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würde er –, dann könnte das zum Sturz des Papstes führen. Aber weißt du, was noch geschähe?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie alle würden erfahren, dass auch mein Vater Teil dieser Verschwörung war. Die Fürsten, auch die Staufer, würden ihm nachträglich ihre Unterstützung entziehen – sogar nach seinem Tod! Niemand will mit einem Mann unter einer Decke stecken, der Zigtausende auf einen falschen Kreuzzug geführt hat, nur um – und darauf läuft es doch hinaus – den Vater seiner Frau aus dem Kerker von Byzanz zu befreien. Für eine Familienangelegenheit!«
    »Sicher, das wäre schlecht für seinen Ruf, und vielleicht für deinen, aber –«
    »So einfach ist das nicht.« Da war sie wieder, die alte, trotzige, widerspenstige Tiessa, nicht mehr anschmiegsam, nicht länger in Tränen aufgelöst, sondern widerborstig und auch eine Spur überheblich. Dafür liebte er sie gleich noch mehr. »Begreifst du denn nicht? Wenn die anderen Staufer meinen Vater im Nachhinein brandmarken, ihm sozusagen die Königswürde entziehen würden, dann wäre das nicht nur schlecht für meinen Ruf.« Sie klang jetzt verächtlich, so als wäre ihr Ruf nun wirklich das Letzte, das von Wichtigkeit war. »Es würde meine Hochzeit mit Otto verhindern!«
    Er ging einen Schritt auf sie zu, doch sie streckte die Hand aus und ließ ihn nicht näher kommen. Er sah ihr an, wie schwer ihr das fiel.
    »Glaub mir, Faun. Ich würde lieber sterben, als Kaise rin zu werden. Aber eines ist mir klar geworden: Wenn diese Hochzeit nicht stattfindet und damit ein endgültiger Frieden zwischen Staufern und Weifen entsteht, dann wird es einen neuen Bürgerkrieg geben. Dann wird das ganze Reich einmal mehr in Blut und Feuer versinken.«
    Das waren ganz ähnliche Worte, wie Zinder sie benutzt hatte. Faun zweifelte allmählich an sich selbst und fragte sich, ob er denn tatsächlich so schwer von Begriff war, dass er die Zusammenhänge nicht sofort erkannt hatte. Ohne Hochzeit kein Abkommen zwischen Staufern und Weifen. Ohne das Abkommen – ein zweiter Bürgerkrieg.
    Demnach hatten sie die Wahl. Sie konnten Papst Innozenz mit Hilfe des Dokuments diskreditieren und damit seinen Sturz einleiten. Oder aber sie vertuschten das Ganze, ließen Philipps Vermächtnis an seine Tochter verschwinden und garantierten damit den Frieden im Reich.
    Tiessa fuhr fort: »Ich habe meinen Vater geliebt, und vielleicht war er ein guter König. Aber dieser Kreuzzug war ein Verbrechen … vielleicht eines der schlimmsten überhaupt. Er hat das gewusst, und wahrscheinlich hatte er Angst, dass seine Mitverschwörer ihm nach seinem Tod die alleinige Schuld daran geben würden. Darum hat er mir das Dokument anvertraut. Ich habe damals noch nicht verstanden, was es bedeutet, aber er hat wohl geglaubt, dass ich es eines Tages begreifen würde. Ich sollte – falls es nötig wäre – damit den Beweis erbringen, dass es noch andere Verschwörer gab, den Papst, den Dogen, Graf Gahmuret und Bonifaz von Montferrat.« Bedrückt fügte sie nach kurzer Pause hinzu: »Er hat nur an seinen guten Ruf gedacht, aber nicht an die Folgen für das Reich. Genau wie damals beim Kreuzzug, als er tausende von Toten in Kauf genommen hat, um meinen Großvater aus dem Kerker von Konstantinopel zu befreien, nur um sich damit die Unterstützung der Byzantiner auf dem Weg zum Kaiserthron zu sichern. Er hat … er hat bei alldem immer nur an sich gedacht.«
    Sie wirkte jetzt so verzweifelt, dass Faun sie an der Hand nahm und zum Lager führte. Sie ließ sich auf der Bettkante nieder, zusammengesunken, mit hängenden Schultern und feuchten Augen.
    »Die Männer, die uns verfolgt haben«, sagte er, »der Falkner und die anderen, wer waren sie wirklich? Ich dachte erst, sie wären Gesandte des Papstes, dann Ritter des Kaisers, aber das ist beides nicht wahr, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie waren Staufer – die Bluthunde meiner eigenen Familie. Es ging ihnen nie um das Dokument. Ich bin nicht einmal sicher, ob sie davon wussten. Sie wollten mich zurückholen, notfalls mit Gewalt, damit diese Hochzeit stattfinden kann.« Ihre Augen wichen den seinen aus. »Aber das konnte ich dir damals nicht erzählen … Oder vielleicht doch. Ich …«
    Er setzte sich neben sie und zog sie an sich. Ihre Faust zerknüllte das gerollte Pergament, aber Tiessa schien es gar nicht zu bemerken.
    Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet.
    Konrad von Scharffenberg betrat die Kammer. Er sah die beiden ohne große

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