Herrin der Lüge
warf und ein tödliches Geschoss mit seinem Körper abfing. Ein hünenhafter Normanne schützte gleich zwei Bauernmädchen mit seiner mächtigen Statur und nahm dafür einen Treffer am Oberschenkel in Kauf.
Gepanzert mit Lederzeug und Waffenrock lief Saga in einem Trupp aus Gardistinnen, angeführt von Berengaria und bewacht von Karmesin, durch die Ruinen, zeigte sich mal hier, mal dort, machte Mut, gab Befehle und versuchte, so zuversichtlich wie möglich zu wirken. Sie trug Siegesgewissheit wie grelle Kriegsbemalung zur Schau und betete, dass ein wenig davon auf die anderen abfärbte.
Die Wogen aus Pfeilen verebbten nach einer Weile, aber es blieb keine Zeit, die Toten und Verletzten zu zählen. Während eine Streitmacht aus Piraten und Sklavenjägern im Schutze der Dämmerung den Hang erklomm und das Wagnis einging, gegen die offene Felskante anzurennen – ein aussichtsloses Unterfangen, und Qwara musste das wissen –, führte der Piratenprinz selbst eine Schar von einigen Hundert zum zweiten Gipfel des Berges hinauf, um von dort aus die Brücke zu stürmen. Saga sah sich gezwungen, an der Verteidigung des Tors teilzunehmen, auch wenn jedermann ihr davon abriet. Sie war keine Kämpferin – als Gauklerin konnte sie Schwerter besser schlucken als schwingen –, aber ihr Verantwortungsgefühl sagte ihr, dass sie sich zeigen musste.
Und tatsächlich – allein ihre Anwesenheit schien vielen Hoffnung und Mut zu spenden und ihnen den Glauben an einen Sieg zurückzugeben.
Die Bogenschützinnen auf dem Tor wurden nun ihrerseits mit einer sirrenden Wolke aus Pfeilen eingedeckt, die von der benachbarten Bergkuppe aufstieg und mehr als ein Drittel von ihnen tötete oder schwer verletzte. Einige stürzten in die Tiefe, andere brachen zusammen und behinderten die übrigen. Dennoch erwiderten jene, die noch standen, die Pfeilattacke mit mehreren Salven ihrer eigenen Geschosse, und nicht wenige Piraten, die von Qwara zur Brücke geführt wurden, stürzten getroffen zu beiden Seiten die Hänge hinunter.
Saga lief nicht in vorderster Reihe, als die Gegner auf der Brücke aufeinander trafen. Sie befand sich auf Höhe des Tors, genau unterhalb der Schützinnen, während Berengaria, ihre Söldnerinnen und eine ganze Horde gerüsteter Mädchen sich den Piraten entgegenwarfen. Ein wilder Tumult entstand, als die beiden Menschenwogen aufeinander prallten und sich vermischten. Stahl hieb auf Stahl, Klingen schnitten durch Fleisch und Knochen, Schädel wurden gespalten und Glieder abgeschlagen. Schwerter und Dolche bohrten sich durch Panzer und Muskeln. Äxte hieben in Brustkörbe und Schultern, schnitten Köpfe von den Hälsen und krachten blindlings in kreischende Körper. Einige Piraten drangen inmitten des Chaos bis zum Tor vor, wurden aber zurückgeschlagen, als Saga und viele andere sich ihnen entgegenstellten.
Saga selbst wehrte unbeholfen einige Schwerthiebe ab, hatte aber die meiste Zeit genug damit zu tun, auf den Beinen zu bleiben, weil die Wogen des Gedränges sie mal hierhin, mal dorthin warfen. Bald bekam sie kaum noch Luft, als von allen Seiten Körper auf sie einrückten, Verbündete ebenso wie Feinde, und sie sah, dass auch ringsum die Kämpfe zum Erliegen kamen und jeder nur noch versuchte, nicht von dem tosenden Handgemenge über die Brüstungen in den Abgrund gedrängt zu werden. Hier und da zuckten noch Klingen über den Häuptern der Gegner umher, aber ein Gefecht war dies nicht mehr. Zahllose Stimmen brüllten durcheinander, vor Schmerz oder weil nun doch viele auf beiden Seiten in Panik gerieten, keine Luft mehr bekamen oder unter dem schieren Druck der Menge auf der Brücke zerquetscht wurden.
Später erinnerte sich Saga, dass sie irgendwann Qwara ganz nahe gekommen war, im selben Moment, als er den Befehl zum Rückzug gab. Es dauerte noch eine endlose Weile länger, ehe sich das Gedränge allmählich auflöste und die Gegner sich auf ihre jeweilige Seite der Brücke zurückzogen. Die meisten waren viel zu geschwächt, um ihren Feinden nachzusetzen und ihnen in den Rücken zu fallen.
Als sich die Fronten klärten und die Heere sich sammelten – die Kreuzfahrerinnen unterhalb des Tors und dahinter, Qwaras Piraten auf dem benachbarten Gipfel –, öffnete sich für alle der Blick auf die Brücke. Sie war übersät mit Leichen, die meisten in den ersten Augenblicken des Angriffs gefallen, viele weitere zu Tode getrampelt. Da und dort erklang ein Stöhnen, regte sich ein Arm oder Bein, aber in den meisten
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