Herrin der Lüge
darauf mit einer Verstärkung ihrer Defensive zu antworten. Der Schlachtenlärm, das Toben der Gegner und die Schreie der Verzweifelten und Sterbenden nahmen kein Ende.
Karmesin ließ Saga nicht aus den Augen, während sie sich dem umkämpften Felsrand der Tempelruine näherte. Der Hang unterhalb der Kante war auf mehrere Mannslängen so steil, dass ein Aufstieg nur unter Mühen möglich war. Die Mädchen warfen den heraufkletternden Männern Steine entgegen, übergössen sie mit kochendem Wasser und erwarteten jene, die es dennoch bis nach oben schafften, mit blankem Stahl.
Direkt vor Saga sprang ein langhaariger Kerl auf das Plateau, riss eine Axt aus den überkreuzten Lederriemen auf seinem Rücken und schlug blindlings nach rechts und links. Ein Bauernmädchen in ledernem Waffenrock, pausbäckig, mit aufgelöstem Haar und verheulten Augen wich einen Schritt zurück, aber der Pirat setzte nach und stieß ein grauenvolles Brüllen aus, als er die Axt durch das Schlüsselbein des Mädchens bis tief in ihren Oberkörper trieb. Etwas in Saga gab nach, als sie das Mädchen mit ungläubigem Blick zu Boden gehen sah. Schreiend setzte sie vor und rammte dem Mann ihre Klinge in den Hals, schneller als selbst Karmesin reagieren konnte. Blut sprühte ihr entgegen, der Pirat schlug sie im Todeskampf mit seiner Pranke zu Boden und stürzte rückwärts in die Tiefe.
Karmesin war sofort bei ihr und beugte sich über sie. »Bist du verletzt?«
Saga brachte kein Wort heraus, schüttelte nur den Kopf und richtete sich auf. »Wir müssen das Signal geben«, keuchte sie schließlich.
»Erst wenn das Tor gesichert ist, hat Berengaria gesagt«, rief Violante, die herbeigeeilt kam. »Es ist noch zu früh.«
»Das hier muss aufhören«, entgegnete Saga, während eine weitere Welle von Angreifern gegen die Kante brandete und mit Felsbrocken und Eisen empfangen wurde. »Es ist längst an der Zeit dazu!«
Violante wollte abermals widersprechen, aber da rannte Saga schon los, auf eine Gruppe von zehn Bogenschützinnen zu, die im Zentrum des Plateaus Aufstellung bezogen hatte und sich dort um ein Feuerbecken scharte. Karmesin huschte hinter ihr her wie ein Schatten.
»Es ist so weit!«, rief Saga den Frauen entgegen. »Gebt das Zeichen!«
Die Kriegerinnen senkten die Spitzen in das Feuerbecken. Bald tanzten Flammen an den Enden ihrer Pfeile. Violante kam von hinten heran, schritt aber nicht ein. Gemeinsam mit Saga sah sie zu, wie zehn Brandpfeile zugleich in den Himmel rasten, einen steilen Bogen beschrieben und sich nach Norden hin wieder senkten. Augenblicke später verschwanden sie jenseits der Felskante.
»Noch eine Salve«, befahl Saga. »Zur Sicherheit!«
Sie wartete nicht ab, bis ihre Order ausgeführt wurde, sondern rannte schon mit Karmesin und Violante zurück zur Tempelruine. Wahrscheinlich würde es eine Weile dauern, ehe das Signal seine vereinbarte Wirkung zeigte. Doch als sie die Kante erreichten und über die Schwärze des Berghangs hinweg zur Küste blickten, entdeckten sie, dass ihre Falle bereits zuschnappte.
Von der ankernden Flotte der Kreuzfahrerinnen, nahezu unsichtbar in der Nacht, stiegen nun ebenfalls Brandpfeile auf, mehrere Dutzend zugleich. Aber sie schossen nicht als Antwort auf das Signal in den Himmel, sondern fauchten in niedrigem Winkel hinüber zu den schutzlosen Galeeren der Piraten. Salve um Salve schoss über die schwarze See hinweg. Lodernde Pfeile schlugen in Aufbauten und Masten, in Decks und gereffte Segel. Nach der brütenden Hitze der vergangenen Tage dauerte es nicht lange, ehe Holz und Leinen Feuer fingen.
Wütendes Gebrüll hallte herauf, als die Piraten am Hang erkannten, was unten auf dem Wasser geschah. Ihre Warnungen und entsetzten Rufe setzten sich den Berg hinauf fort, erreichten jene an vorderster Front und bald auch die Kämpfenden auf der Brücke.
Saga hatte kaum Kraft, um ihrer Genugtuung mit einem Lächeln Ausdruck zu verleihen. Während der Angriff an den Felskanten im Norden und Osten des Plateaus ins Stocken geriet und auf der Westseite der Brücke Panik unter Qwaras Männern ausbrach, verwandelten sich die Decks der Piratengaleeren in lodernde Flammenhöllen. Es gab Wächter dort unten, aber längst nicht genug, um gegen die Frauen vorzugehen, die versteckt in den Schiffsbäuchen der Kreuzfahrerflotte auf ihren Einsatz gewartet hatten. Brennende Piraten brachten sich mit einem Sprung über Bord in Sicherheit. Andere wurden unter Lawinen aus prasselndem Segeltuch
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