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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Körpern war kein Leben mehr.
    Berengaria gab Befehl, die Piraten erneut unter Beschuss zu nehmen, während eine Hand voll Kriegerinnen die eigenen Verwundeten bargen. Viele waren es nicht, gerade einmal ein halbes Dutzend.
    »Du bleibst zurück!«, befahl Berengaria Saga, ungeachtet ihrer Rangfolge. »Niemandem ist geholfen, wenn du auf dieser Brücke stirbst.«
    Saga wollte widersprechen – halbherzig, wie sie sich insgeheim eingestand –, aber die Söldnerin ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern formierte in aller Eile einen Verteidigungswall nachrückender Kämpferinnen und führte sie hinaus auf die Brücke. Auch Qwara hatte seine Leute neu aufgestellt und rückte abermals vor. Zum zweiten Mal trafen sich die gegnerischen Verbände in der Mitte der Brücke, diesmal ein wenig geordneter, obgleich absehbar war, dass die Gefechte bald in ähnliches Chaos wie vorhin umschlagen würden.
    Karmesin packte Saga am Arm und führte sie durch das Gedränge nachrückender Kriegerinnen und bewaffneter Seeleute fort vom Tor in Richtung der Ruinen.
    »Ich muss –«, begann Saga außer Atem, aber Karmesin schüttelte den Kopf.
    »Du musst gar nichts«, entgegnete die Konkubine scharf. »Vielleicht führst du dieses Heer tatsächlich – in gewisser Weise, jedenfalls –, aber das bedeutet nicht, dass du dich gleich beim ersten Ansturm erschlagen lassen musst!«
    »Ich bin lebend davongekommen, oder?«
    »Weil du einen Schutzengel hast.«
    Darauf schwieg Saga beschämt. Sie hatte sehr wohl bemerkt, wie Karmesin im Gewühl des Kampfes die Gegner von ihr fern gehalten hatte, noch schneller und schemenhafter als zuvor, ein schlanker Schatten, der sich selbst im Tumult auf der Brücke flinker und flüssiger bewegte als jeder andere. Karmesin schien stets die richtige Lücke zu finden, jede Gelegenheit zu nutzen und sich doch nie weit genug von Saga zu entfernen, um sie inmitten des Menschenansturms aus den Augen zu verlieren.
    »Wo ist Violante?«, fragte Saga und suchte das Plateau ab. Es war unmöglich, einzelne Gesichter inmitten des Durcheinanders aus Schatten, Silhouetten und Feuern auszumachen. Von allen Seiten ertönten Geschrei und Waffengeklirr. Mittlerweile wurde an allen Rändern des Felsplateaus gekämpft – auch im Süden, wo ein paar Dutzend wagemutige Piraten aus dem Tal heraufdrängten und versuchten, die schroffe Felskante einzunehmen. Das Unterfangen war so aussichtslos wie der offene Angriff den Hang hinauf an der Nordseite, und Saga fragte sich einmal mehr, was Qwara damit bezweckte. Wollte er ihre Kräfte binden, um an der Brücke leichteres Spiel zu haben?
    Auch Karmesin hielt jetzt Ausschau nach der Gräfin. Beide erwarteten nicht, dass Violante sich unter den Kämpfenden befand, und waren umso überraschter, sie schließlich zwischen den Tempelsäulen im Norden zu finden, wo sie konzentriert und erstaunlich gefasst zwischen den Verteidigern am Felsrand umhereilte, Befehle gab, Einzelne anfeuerte und sogar selbst ein Schwert schwang, das in ihrer Hand reichlich deplatziert wirkte. Als Saga und Karmesin zu ihr stießen, entdeckten sie Blut an der Klinge. Violante mochte die Waffe irgendwo aufgehoben oder sie tatsächlich eingesetzt haben, es spielte keine Rolle. Solange sie den anderen signalisierte, seht her, jede von uns muss tun, was sie kann, war es gleichgültig, ob sie eigenhändig einen Sklavenjäger erschlagen oder einen Piraten zurück in den Abgrund getrieben hatte.
    Die Gefechte tobten nun überall, und bald drohte Qwaras Rechnung aufzugehen. Durch den Angriff von allen Seiten verwickelte er so viele Verteidiger in Kämpfe, dass es unmöglich war, ein größeres Kontingent zur Verstärkung der Erschöpften oder Verletzten zurückzuhalten. Er wollte die Brücke und das Tor, nur darauf kam es ihm an; wahrscheinlich vertraute er darauf, das Plateau von dort aus selbst mit wenigen Kriegern einnehmen zu können. Falls sich dafür einige Hundert seiner Leute an den Felskanten aufrieben, schien ihm das ein annehmbarer Preis zu sein.
    Mittlerweile war es Nacht geworden, und die Kämpfenden wurden nur noch von zahllosen Feuern, Flammenbecken und Fackeln beschienen. Auf offenem Schlachtfeld hätten die Heerführer jetzt das Signal zum Abbruch gegeben, um am Morgen, bei Tageslicht, weiterzukämpfen. Doch hier, auf diesem einsamen Eiland in der Weite der ägäischen See, galten andere Regeln. Qwara dachte nicht daran, einen Rückzug zu befehlen, und den Kreuzfahrerinnen blieb keine Wahl, als ihrerseits

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