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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gefährtinnen beizustehen und die Gegner in die Zange zu nehmen.
    Karmesin war es endlich gelungen, das Tor zu erklimmen. Mit funkelnden Augen tauchte sie neben Saga auf und begann, jene Kriegerinnen, die hier oben nichts zu suchen hatten, zurück aufs Plateau zu schicken. Bald standen Saga und Karmesin allein zwischen einer Hand voll Bogenschützinnen.
    Der Zweikampf auf der Brücke wurde jetzt immer schleppender und für beide Gegner aussichtsloser. Keinem gelang es, die Oberhand zu gewinnen. Berengaria hielt dem Piraten stand, mal stehend, dann halb in der Hocke, aber immer noch wehrte sie seine Schläge und Finten ab, versuchte eigene Vorstöße, ohne aber zu ihm vorzudringen.
    Plötzlich wusste Saga, was die Söldnerführerin von ihr erwartete. »Geh zu den anderen hinunter und zieh so viele von unseren Kriegerinnen wie möglich vom Tor ab«, raunte sie Karmesin zu. »Nur die vorderen Reihen sollen stehen bleiben und Berengaria weiter anfeuern, damit die Piraten keinen Unterschied bemerken. Die anderen sollen sich so unauffällig wie möglich nach hinten ins Dunkel davonmachen, den Hang hinuntersteigen und Qwaras Leuten auf der anderen Seite der Brücke in den Rücken fallen.«
    Karmesin schenkte ihr ein erschöpftes Lächeln und eilte die Leiter hinunter. Als Saga bald darauf nach hinten über das Plateau blickte, sah sie, wie Dutzende, bald Hunderte Kämpferinnen und bewaffnete Seeleute über die Felskanten ins Dunkel glitten. Alles Weitere musste sich von selbst ergeben. In der Finsternis war es unmöglich, einen Überblick zu behalten. Sie konnte nur hoffen, dass die Piraten im Hang bald besiegt sein würden, damit sich die Kriegerinnen zu einem Angriff auf die Männer jenseits der Brücke zusammenschließen konnten.
    Unvermittelt erschien ein Gesicht vor ihrem inneren Auge. Züge, die sie während der vergangenen Stunden beinahe vergessen hatte. Zottiges, schmutziges Haar.
    Achard.
    Zugleich dachte sie mit neu erwachter Sorge an Jorinde, die mit den anderen Schwangeren und Verletzten in den unterirdischen Kammern unter den Ruinen ausharrte. Grundgütiger! Wo war Achard?
    Ihr Blick suchte die Reihen der Feinde auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke ab, aber es war zu düster, um einzelne Gesichter zu erkennen. Ihre Beunruhigung wuchs.
    Noch einmal schaute sie besorgt zum erbitterten Duell auf der Brücke hinab, dann glitt sie die Strickleiter hinunter und suchte Karmesin. Die Konkubine war nicht am Portal. Saga entdeckte sie an der nördlichen Felskante, tiefer im Dunkel, wo sie den Abstieg weiterer Kämpferinnen beaufsichtigte. Das Plateau selbst war gesichert, nirgends zeigten sich neue Angreifer.
    Der Eingang zu den Kammern im Berg war unbewacht. Saga blieb keine Zeit, Karmesin herbeizuholen. Während sie losrannte, rief sie zwei-, dreimal den Namen der Konkubine, wusste aber nicht, ob sie ihn hörte. Wahrscheinlich glaubte sie Saga auf dem Tor in Sicherheit.
    Der Zugang befand sich im Zentrum des Plateaus, unweit der Stelle, von der aus vorhin die Signalpfeile für den Angriff auf die Piratenschiffe abgefeuert worden waren. Überwucherte Steinstufen, die meisten geborsten, führten hinab in eine gemauerte Grube. In ihrer Ostwand befand sich ein quadratischer Durchgang, hinter dem eine Rampe – einstmals vielleicht eine Treppe, heute kaum mehr als eine Geröllhalde – tiefer in den Berg führte.
    Saga zögerte ein letztes Mal, als sie die oberen Stufen erreichte. Sie hob ihr Schwert, schaute sich um und rief drei Kriegerinnen zu sich, die erschöpft an einem nahen Mauerstumpf lehnten; sie hatten die vergangenen Stunden über ununterbrochen gekämpft. Eine hatte einen hässlichen Schnitt im Gesicht, nicht unähnlich Sagas eigener Narbe. Als sie erkannten, wer sie rief, eilten sie bereitwillig herbei.
    »Kommt mit!« Das Reservoir aus Wut und Verzweiflung, aus dem Saga bislang ihren Befehlston geschöpft hatte, war allmählich erschöpft. Jetzt klangen die Worte nur noch wie eine Bitte. Sie war müde und ausgelaugt, genau wie die drei Kriegerinnen. Aber sie musste Gewissheit haben, dass Jorinde in Sicherheit war.
    Sie führte die drei Frauen die Stufen hinab, durch den Eingang und schließlich die lockere Trümmerhalde hinunter. Unten mündete die Schräge in einen breiten Gang, von dem mehrere Kammern abzweigten. Jorinde und die anderen warteten im hintersten dieser Räume auf den Ausgang der Schlacht. Man hatte ihnen eingeschärft, leise zu sein, für den Fall, dass es den Piraten gelang, das

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