Herrin der Lüge
Kampfschrei aus und löste sich aus der Menge. Mit gezücktem Schwert stürmte sie an Berengaria vorüber, die sie nicht aufhalten konnte, und warf sich Qwara entgegen. Der Prinz sah sie kommen und ließ sein Schwert schneller emporwirbeln, als irgendwer erwartet hatte. Die Kriegerin holte noch im Laufen aus – und blieb mit einem verkrampften Stolpern stehen, als sie mit erhobener Waffe an sich hinabblickte und Qwaras Schwert bis zur Kreuzstange in ihrem Leib stecken sah. Ihre eigene Klinge entfiel ihren Händen, dann stürzte sie selbst. Der Prinz spie ihr ein Gemisch aus Blut und Speichel ins Gesicht, als er sich schwerfällig daranmachte, die Klinge aus ihrem Körper zu ziehen.
Unter den Frauen am Tor wurden hasserfüllte Rufe laut, aber die Befehlshaberinnen hielten sie zurück. Berengaria erreichte eine von ihnen und entriss ihr einen Wurfspieß mit zweischneidiger Spitze, hergestellt in Mailands Waffenschmieden. Damit taumelte sie herum und blickte ihrem Feind entgegen.
Qwara hatte das Schwert aus dem Leichnam befreit und die Verfolgung wieder aufgenommen. Im Hintergrund ging eine weitere Gruppe Piraten unter einer Salve der Bogenschützinnen zu Boden. Jenseits ihrer zuckenden Körper tobten die Kämpfe als unübersichtliches Gerangel. Das eigentliche Schlachtfeld schien sich zusammenzuziehen, während auf beiden Seiten Männer und Frauen ihr Leben ließen.
Berengaria umfasste den Wurfspieß mit aller Kraft. Als sie weit ausholte, traten hinter ihr die Frauen beiseite, um dem Schaft nicht im Wege zu stehen.
Ein Lächeln teilte Qwaras Züge. Die Zähne hinter seinen Lippen waren nicht länger weiß, sondern rot verfärbt, als hätte er sie gerade erst in rohes Fleisch geschlagen.
Unbeirrt wankte er weiter auf Berengaria zu.
Sie stieß ein Knurren aus wie ein Tier, ließ den Oberkörper vorschnellen und schleuderte den Spieß. Die stählerne Spitze rammte durch sein Kettenhemd und bohrte sich tief in seine Brust. Jeden anderen hätte allein die Wucht des Aufpralls zurückgeworfen, erst recht die furchtbare Wunde, doch Qwara hielt sich auf den Beinen. Der Schaft blieb einen Augenblick lang in der Waagerechten stecken, dann kippte er nach unten und zog den Oberkörper des Prinzen vornüber.
Berengaria packte den Spieß einer zweiten Kriegerin. Zwei Frauen griffen zu, damit sie nicht nach hinten fiel. Berengaria schüttelte sie unwillig ab. Irgendwie gelang es ihr, genügend Kraft zu mobilisieren, um erneut auszuholen.
Qwara stieß ein wutentbranntes Fauchen aus.
Der zweite Spieß bohrte sich in seinen offenen Mund, trat am Hinterkopf aus und riss ihn zurück. Diesmal stürzte der Piratenprinz wie ein gefällter Baum, riss den Spieß in seiner Brust mit sich und lag dann auf dem Rücken, ausgebreitet über andere Körper, während beide Schäfte vibrierend aus Leib und Schädel ragten.
Die Frauen stießen ohrenbetäubendes Triumphgeheul aus. Berengaria brach zusammen, wurde von jemandem gestützt und sah nur verschwommen, wie die Frauen, die gerade noch am Tor gestanden hatten, an ihr vorüberstürmten, die Brücke überquerten und sich auf die Piraten stürzten. Damit wurde der Kreis um die Gegner geschlossen. Das Gemetzel erreichte einen neuen Höhepunkt, als sich Piraten und Sklavenjäger ihrer letzten Rückzugsmöglichkeit beraubt sahen und verzweifelt ums nackte Überleben kämpften.
Berengaria wurde durchs Tor gezogen und mit aufrechtem Oberkörper gegen einen der steinernen Pfosten gelehnt. Von hier aus konnte sie nicht sehen, was am anderen Ende des Übergangs vor sich ging, aber sie hörte den Lärm, die Schreie, das Singen von Stahl. Ihr gefiel, was sie hörte. Sie hatte immer mit diesem Klang in den Ohren sterben wollen.
Ihr Kopf fühlte sich unendlich schwer an, und sie drohte vornüberzukippen. Dabei sah sie zum ersten Mal die tiefe Wunde, die wie ein zweiter Mund in ihrem Bauch klaffte, nur größer, weiter, und es half nicht, dass irgendwer notdürftig versuchte, etwas darauf zu pressen, und jemand anders nach einer Heilerin brüllte.
Warum tut es nicht weh?, dachte sie, als Dunkelheit von allen Rändern ihres Blickfeldes näherrückte, gefolgt von einem silbrigen Schimmer in weiter Ferne. Es sollte wehtun, flüsterte es in ihr. Es müsste –
Als Saga und Karmesin sie erreichten, lebte sie nicht mehr.
Das Ende kam so schnell, dass es beinahe absurd erschien. Noch während Saga neben Berengarias Leichnam kniete und ihre blutige Hand hielt, fiel auf der anderen Seite der Brücke
Weitere Kostenlose Bücher