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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Plateau zu überrennen.
    Saga und die drei Kriegerinnen – zwei Bauernmädchen und eine Söldnerin aus Berengarias Schutztrupp – hatten den Korridor bis zur Hälfte passiert, als der Fackelschein, der aus dem Durchgang zum hinteren Nebengelass fiel, von zwei Gestalten durchbrochen wurde. Ihre Schatten legten sich verzerrt auf die gegenüberliegende Wand, als flösse Finsternis aus den uralten Mörtelfugen.
    »Zurück!«, befahl eine wohlbekannte Stimme.
    Saga erstarrte. »Wartet!«
    Die Kriegerinnen blieben widerstrebend stehen.
    Achard hatte den linken Arm von hinten um Jorindes Kehle geschlossen und schob sie vor sich auf den Gang hinaus. In der Rechten hielt er ein Langschwert. Die Klinge glänzte nass im Fackelschein. Einen Augenblick lang fürchtete Saga um die anderen Frauen in der Kammer, aber dann hörte sie Stimmen, manche wütend, andere flehend.
    »Seid still!«, schrie Achard über die Schulter, und sogleich herrschte Ruhe.
    »Saga?« Jorindes Tonfall klang brüchig. »Töte ihn. Er hat es verdient.«
    »Zurück!« Achard schloss seinen Griff noch fester um Jorindes Hals. »Sie stirbt, wenn ihr auch nur einen Schritt näher kommt.«
    Saga bemühte sich um Fassung. »Sie trägt dein Kind in sich, Achard. Du würdest sie niemals töten.«
    »Lass es drauf ankommen, Hure.«
    »Du bist hier, um dein Erbe zu sichern. Das Kind ist dein Erbe. Ohne Jorinde verlierst du alles. Hoch Rialt, die Macht über die Via Mala … Sieh dich doch um, Achard! Du würdest nicht einmal lebend ins Freie gelangen.«
    »Qwara wird euch allen die Haut abziehen!«
    »Qwara ist vollauf damit beschäftigt, selbst am Leben zu bleiben«, behauptete sie, obgleich sie dessen keineswegs sicher war. Der Kampf zwischen ihm und Berengaria mochte entschieden sein, aber zu wessen Gunsten?
    »Geht langsam zurück«, befahl Achard und schob Jorinde vor sich her den Gang herab. Seine Schwertspitze saß an ihrer Taille, und Saga musste sich eingestehen, dass er entschlossen genug wirkte, die Waffe tatsächlich zu benutzen.
    Sie gab den Kriegerinnen ein Zeichen. Rückwärts bewegten sie sich den Gang entlang in Richtung der Halde. Ein Luftzug wehte ihnen von außen entgegen und trug den Lärm weiterer Kämpfe mit sich. Für einen Moment schloss Saga die Augen. Falls es Qwaras Männern gelungen war, die Brücke und das Tor zu stürmen …
    Nein, denk nicht daran. Nicht jetzt.
    »Saga«, stöhnte Jorinde. »Achtet nicht auf mich. Wenn er mich mitnimmt, dann bleibe ich ohnehin nicht am Leben. Ich –«
    »Halt’s Maul!«, fuhr Achard sie an, während er sie weiter den Gang entlangschob. Das Schwert bohrte sich eine Fingerbreit tiefer in ihre Seite. Saga biss sich auf die Unterlippe, als sie Blut auf Jorindes weißem Kleid entdeckte.
    Er tötet sie nicht!, hämmerte sie sich ein. Niemals würde er das tun! Um des Kindes willen!
    Unter ihren Fersen spürte sie die Steigung der Geröllrampe. Sand und kleine Steinchen prasselten rings um sie herab, gelöst von den Schritten der anderen.
    »Wir könnten es versuchen«, flüsterte eine der Frauen hinter ihr. Saga schüttelte den Kopf.
    »Weiter«, kommandierte Achard. »Rauf mit euch.«
    Sie erreichten den Grund der Grube unter freiem Himmel. Vom Tor her ertönte wieder Schlachtengetümmel. Der ganze verdammte Berg schien unter einer Glocke aus Waffengeklirr, Schmerzensschreien, unergründlichem Grollen und Scheppern zu liegen.
    Jorinde stieß ein Stöhnen aus, als Achard stolperte und die Schwertspitze ihr Kleid eine Handbreit weit aufschlitzte. Darunter kam helle Haut zum Vorschein. Und ein blutiger Schnitt, hoffentlich nicht tief.
    Die drei Kriegerinnen hinter Saga flüsterten miteinander. Noch hatten sie die Treppe nicht erreicht, die zum Plateau hinaufführte. Zu sechst standen sie jetzt am Grund der Grube, Achard und Jorinde vor dem Tor in die Gewölbe, Saga und die anderen Frauen unterhalb der Stufen.
    »Du kommst hier nicht lebend raus«, versuchte Saga es noch einmal.
    Der Lügengeist kicherte höhnisch.
    Etwas huschte über den Himmel wie ein riesenhafter Raubvogel. Ein Umriss, schlank und drahtig und unglaublich schnell, fegte vom Rand der Grube in die Tiefe. Achard schrie auf, aber da wurde ihm schon das Schwert aus der Hand getreten. Jorinde heulte auf, als jemand sie packte und von ihm fortriss. Saga konnte gerade noch ihre eigene Waffe fallen lassen und die Arme auseinander reißen, um Jorinde aufzufangen. Gemeinsam stolperten sie rückwärts und wurden ihrerseits von den Kriegerinnen

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