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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Seite bleiben, aus Freundschaft, wie sie sagte, und aus Neugier. Gräfin Violante zeigte darüber wenig Begeisterung, aber Saga umarmte die Konkubine freudig, und Jorinde küsste Karmesin mit einem Lächeln auf die Stirn.
    Und so brach die Flotte der Kreuzfahrerinnen auseinander.
    Die einen machten sich auf den Weg zurück nach Venedig, die anderen setzten ihre Reise fort. Niemand sprach mehr von Heiligen Stätten, von Befreiung durch christliche Unschuld, von Reinheit vor dem Angesicht des Herrn. Vorräte wurden verteilt, Wunden gepflegt, Abschiedsworte gesprochen. Das war alles.
    Dann stachen die Galeeren in See, die Flotte nach Westen, die Santa Magdalena auf sich allein gestellt nach Osten. An Bord befanden sich Saga, Violante, Karmesin und Jorinde, außerdem rund zweihundert Mädchen, die in den Kreuzfahrerkönigreichen ein neues Leben beginnen wollten.
    Das Meer lag ruhig und leuchtend da, die Sonne brannte am Himmel, kein anderes Schiff war in Sicht. Die Luft drang heiß in ihre Lungen, und die Ruder hoben und senkten sich in gemächlichem Gleichtakt. Hinter ihnen standen die Rauchsäulen der Scheiterhaufen als graue Trichter über dem Horizont, bis die Dunkelheit hereinbrach und endlich auch der Gestank des verbrannten Menschenfleischs in der Ferne zurückblieb.
    In der zweiten Nacht auf See verließ Violante ihre Kabine und stieg allein auf das Vorderdeck der Santa Magdalena. Die Galeere ankerte in den niedrigen Gewässern nahe einer unbewohnten Insel. Im Dunkeln formten die Felsen den Umriss einer mächtigen Krone.
    Wächterinnen standen an mehreren Stellen des Decks, aber nur eine kam auf die Gräfin zu, erkannte sie und entfernte sich mit einer raschen Verbeugung. Danach hatte Violante das Vorderdeck für sich allein.
    Sie stand an der Reling, ohne sich aufzustützen, blickte nach Osten und hatte das Gefühl, dass der Wind kühler geworden war. Sie stellte sich vor, wie er durch ihren ganzen Körper wehte, die Muskeln und Knochen streifte und den Ballast der vergangenen Wochen davontrug.
    Sie fühlte sich schuldig. Schuldig an vielen Dingen.
    Die anderen mochten glauben, ihr Gewissen belaste sie nicht; dies war genau der Anschein, um den sie sich immer bemüht hatte. Die Gräfin. Die Anführerin. Nichts schien ihr nahe genug zu gehen, um ihren Mut zu brechen.
    Aber das Zittern in ihrem Inneren erinnerte sie daran, dass die Wahrheit eine andere war. Die Kälte in ihrem Herzen war kein Zeichen von Gleichgültigkeit, ganz im Gegenteil. Es war das eisige Erschrecken über sich selbst, über die Folgen ihres Tuns und das Grauen, das sie heraufbeschworen hatte.
    Und wofür?
    Die Mädchen glaubten, es ginge ihr um die Befreiung des Heiligen Landes. Lächerlich.
    Saga, Karmesin und der Rest des kleinen Führungstrupps hingegen waren der Ansicht, Gahmuret sei der Grund. Und, bei Gott, Violante hatte hart gearbeitet, um diesen Eindruck zu erzeugen: Ziehe einige wenige ins Vertrauen und gestehe ihnen deine Lüge, dann tische ihnen als Erklärung eine zweite auf, die sie nachfühlen können. Sie werden dir glauben, solange sie an deine Gefühle glauben. Solange du nur ihr Herz berührst.
    Gahmuret.
    Stumm schüttelte sie den Kopf und stellte ihn sich vor, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, rußgeschwärzt und gerüstet, mit einem Schwert in der einen Hand und an der anderen –
    Der Gedanke daran war noch immer zu schmerzlich. Aber bald würde der Tag kommen, an dem sie sich ihm stellen musste.
    »Du wirst mir sagen, wo er ist«, flüsterte sie in den Wind. Sie hatte Hunderte geopfert, ein ganzes Tausend, wenn die Zählungen zutrafen. Was bedeuteten da noch weitere Verluste, größere Entbehrungen? Sie murmelte den Namen ihres Gemahls ins Leere und horchte, wie der Wind ihn von ihren Lippen riss.
    »Du wirst ihn mir zurückgeben«, raunte sie in die Nacht. »Ganz gleich, was es mich kosten wird. Er ist mein, hörst du, Gahmuret?« In der Finsternis ballte sie die Fäuste. »Du wirst ihn mir zurückgeben.«

Viertes Buch
     
    S TAUB ZU S TAUB
     
    »E INEN BESSEREN L ÜGNER
    GIBT ES IMMER .«
     
    A ELVIN DER S CHWINDLER
     

Katervater
     
    Tiessa stieg hinab in den Schiffsbauch der Sturmhochzeit und suchte Katervater. Der dickleibige Reliquienhändler stand über einen Tisch gebeugt, an der niedrigen Decke schaukelte eine Öllampe. Auf der Holzplatte vor ihm lagen gelbliche Gebeine und allerlei Leinensäckchen und Holzschachteln. In einer Hand hielt er eine Säge.
    »Katervater?«
    Er fuhr erschrocken auf, lächelte

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