Herrin der Lüge
tun, nicht wahr?«
»Was soll das?«, fragte sie verwundert.
»Das hier ist der Sarkophag des heiligen Alexius von Rom. Viel heiliger geht’s nun beileibe nicht, glaub mir. Er ist einer von Roms Schutzpatronen, und was für Rom gut ist, kann dir wohl nur recht sein.«
»Und woher stammt das Öl?«
»Das Öl der heiligen Lampedusa«, verkündete er und zwinkerte ihr zu. »Sie hängt über meinem Tisch … Gewöhnliches Lampenöl. Wenn auch nicht mehr lange. Wenn es nämlich hier unten wieder herauskommt, dann hat es die sterblichen Überreste des heiligen Alexius berührt und seine Heiligkeit in sich aufgenommen.«
»Du machst dich über mich lustig.«
»Nein.« Er sah aus, als wäre es ihm tatsächlich ernst damit. »Öl vereinigt alle Schutzmacht der Heiligen in sich, wenn es durch ihre Grabstätten geflossen ist. Jeder ehrenhafte Reliquienhändler wird dir das bestätigen. Es ist nicht teuer, aber wirkungsvoll. Und es hat den Vorteil, dass du es überall mit hin nehmen kannst.«
Zweifelnd, aber schon ein wenig milder gestimmt, sah sie zu, wie dickflüssiges Öl aus der Öffnung tropfte. Katervater blieb auf den Knien hocken, bis die kleine Phiole gefüllt war. Dann verschloss er sie sorgfältig und reichte sie Tiessa. »Das hier geb ich dir für dein Götzenamulett. Ein guter Tausch.«
Nach einem letzten Zögern reichte sie ihm den Stierkopf, allerdings nicht ohne vorher das Lederband zu lösen und statt des Amuletts die Phiole daran zu befestigen. Gleich darauf verschwand beides unter ihrem Wams.
»Das hier« – Katervater zeigte ihr den Anhänger in seiner offenen Hand – »werde ich über Bord werfen.«
»Du willst es gar nicht weiterverkaufen?«
Er schüttelte den Kopf. »So etwas bringt nur Unglück. Heidnisches Zauberzeug und Ketzerkram … Nicht auf meinem Schiff.«
Sie strich über die winzige Erhebung unter ihrem Wams und begann, sich mit ihrem neuen Besitz anzufreunden. »Danke«, sagte sie schließlich.
Der Reliquienhändler legte ihr lächelnd eine Hand auf die Schulter und führte sie an Deck.
Derweil standen Faun und Zinder an der Reling und blickten nach Steuerbord über die See. Der Söldner hatte lange gesprochen, ohne eine Pause zu machen, und sich dabei unablässig die Bartstoppeln gekratzt.
Nachdem er geendet hatte, fragte Faun: »Das heißt, die Gräfin hat das alles nur auf sich genommen, um ihren Mann wiederzufinden? Sie führt tausende von Mädchen in den Tod, nur um sich die Unterstützung der Ritterorden bei der Suche nach Gahmuret zu sichern?« Verächtlich spie er über die Reling ins Wasser. »Saga kann davon nichts geahnt haben. Sonst hätte sie sich nie darauf eingelassen, auch nicht um meinetwillen.«
»Anfangs hat sie das alles nur für dich getan«, sagte Zinder. »Daran besteht überhaupt kein Zweifel.«
… . »Anfangs?«
Der Söldner zögerte. »Ich glaube, es hat durchaus Momente gegeben, in denen sie sich in ihrer Rolle gefallen hat. Oben in den Bergen und, später, in Mailand.«
»Aber sie hat bestimmt nichts von Gahmuret gewusst!«
»Würde das etwas ändern?«
Faun schwieg und starrte verbissen ins Leere. Saga war seine Zwillingsschwester. Er weigerte sich schlichtweg, ihr mehr als eine geringe Mitschuld an dem Jungfrauenkreuzzug zu geben. Obgleich ihm manchmal leise Zweifel kamen. Sie machten ihm stärker zu schaffen, als er sich eingestehen wollte.
»Sprecht ihr von Gahmuret von Lerch?«, fragte eine schnaufende Stimme hinter ihnen. Beide Männer drehten sich um, Faun eine Spur träger und gedankenverlorener.
Katervater hatte gemeinsam mit Tiessa das Deck betreten. Faun lächelte, als er sie sah, löste sich von der Reling und ging auf die beiden zu. Selbst jetzt, und in den melancholischen Stimmungen, die sie seit ihrer Flucht quälten, hellte sich die Umgebung für ihn auf, wenn sie ihn anlächelte, mit ihm sprach oder bei Nacht an seiner Seite unter Deck lag. Er kannte ihren Herzschlag mittlerweile wie seinen eigenen.
Katervater kam auf sie zu, trat an die Reling und warf etwas hinab ins Wasser, zu schnell, als dass Faun hätte erkennen können, um was es sich handelte.
»So«, murmelte der Reliquienhändler und zwinkerte Tiessa zu, »das wäre erledigt. Gelobt sei der Herr!« Nun wandte er sich wieder Zinder zu. »Gahmuret von Lerch?«, fragte er noch einmal.
»Du kennst ihn?«, erkundigte sich Faun und griff nach Tiessas Hand.
»Aber sicher. Bin in Konstantinopel gewesen, als dort die Hölle losbrach. Nicht als Kreuzfahrer, Gott bewahre!
Weitere Kostenlose Bücher