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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wenigen Tagen erbitterte Kämpfe stattgefunden, ganz ohne Zweifel, doch wo steckten die Gegner der Sklavenjäger?
    Zinder deutete hinauf zu den Rauchfahnen aus den Ruinen, und da ahnten sie, was sie dort oben erwartete. Faun schlug Tiessa vor, zurück zum Boot zu gehen, aber ausnahmsweise war er dankbar, dass sie nicht auf seine Bitte achtete, sondern bei ihm blieb.
    Das nicht enden wollende Panorama der Leichen, die den gesamten Berg bedeckten, wurde immer unwirklicher. Der Gestank der verwesenden Körper in der erbarmungslosen Sommerhitze drehte ihnen den Magen um. Faun übergab sich zweimal auf dem Weg nach oben, Tiessa erging es nicht besser. Allerlei Getier wuselte zwischen den Leibern umher, obgleich sich, laut Zinder, die Zahl der Aasfresser in Grenzen hielt; auf dem Festland wären es wohl zehnmal so viele gewesen, meinte er. Erbauliche Erklärungen wie diese hatte er im Dutzend auf Lager, doch obwohl Faun und Tiessa irgendwann abstumpften und kaum noch zuhörten, waren sie gleichzeitig froh, dass zumindest einer von ihnen das furchtbare Schweigen dieses Ortes brach. Ihnen selbst hatte es vor Grauen längst die Sprache verschlagen.
    Tiessa weigerte sich, die Brücke voller Leichen zu betreten, und so stiegen sie und Faun außen herum auf das Felsplateau, während Zinder achselzuckend den direkten Weg nahm und über die Toten balancierte, als handelte es sich um lästiges Astwerk, das ein Sturm von Bäumen gerissen hatte.
    Als die beiden mühevoll die Felskante erklommen hatten, sahen sie Zinder noch immer am Tor stehen. Der Anblick des Plateaus hatte selbst ihn erstarren lassen. Mehr als zehn Scheiterhaufen waren hier oben zwischen den Mauerresten aufgetürmt und entzündet worden. Die meisten waren heruntergebrannt, aber einige hatte der Wind gelöscht, und so waren viele der Leichen noch deutlich als Mädchen und junge Frauen zu erkennen; auch Männer waren darunter.
    Faun stolperte ziellos vorwärts, vergrub beide Hände im Haar und suchte mit aufgerissenen Augen wie ein Wahnsinniger nach Sagas Gesicht zwischen denen, die noch zu identifizieren waren. Aber es war aussichtslos, und das sagte ihm auch Tiessa, die sich noch vor Zinder aus ihrer Lähmung löste und Faun inmitten dieser Höllenlandschaft skelettierter und halb verbrannter Leichenberge einholte. Sie berührte seine Hand, und als er sie nicht fortzog, ergriff Tiessa sie und blieb auf Schritt und Tritt bei ihm. Er beruhigte sich nur ganz allmählich, obgleich die Panik noch immer in seinen Augen nistete.
    »Sie ist nicht dabei«, sagte Tiessa eindringlich. »Sie ist ihre Anführerin. Man wird sie früh genug in Sicherheit gebracht haben.«
    »Das sind nicht alle«, sagte Zinder, als er zu ihnen kam. »Keine fünftausend. Die meisten haben überlebt.«
    »Es könnten fünftausend sein«, stammelte Faun. »Wie willst du … das hier zählen?«
    »Vertrau mir einfach. Dies ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas sehe. Das waren niemals mehr als anderthalbtausend, eher weniger.«
    »Anderthalbtausend«, kam es ungläubig über Tiessas blutleere Lippen.
    Faun setzte seine Suche fort und stolperte wie betäubt zwischen den Scheiterhaufen umher. Er blickte nach rechts und links, aber er sah eigentlich gar nichts, nur verschwommenes Braun und Schwarz, Hügel aus Knochen und Asche und Menschenschlacke.
    Er hatte fast den östlichen Rand des Plateaus erreicht, als ein wildes Kreischen ertönte. Hinter einem der Scheiterhaufen schoss eine Gestalt hervor. Faun war viel zu benommen, um auszuweichen oder sich zur Wehr zu setzen. Etwas fiel über ihn her, sprang ihn an wie ein Tier und riss ihn unter sich zu Boden. Finger krallten sich in sein Gesicht, suchten seine Augen, verhakten sich in seinem Mundwinkel. Instinktiv biss er mit aller Kraft zu. Ein Schmerzensschrei gellte über das Plateau, dann schlugen Fäuste auf ihn ein, ein Knie rammte in seinen Bauch und –
    - plötzlich war er frei.
    Tiessa hatte die Gestalt von ihm heruntergerissen. Zinder packte den Angreifer und hielt ihn am ausgestreckten Arm von sich, um nicht in Reichweite seiner Hände und Zähne zu geraten.
    Es war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Ihre Kleidung war zerfetzt, sie selbst von oben bis unten mit Ruß beschmiert. Speichel lief aus ihrem Mund, und ihre aufgerissenen Augen waren blutunterlaufen. Ihr Haar war verklebt mit Schmutz und Schlimmerem; womöglich war sie einmal blond gewesen, aber das ließ sich jetzt kaum mehr feststellen.
    »Tu ihr nicht weh«, rief eine

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