Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
gesehen, aus dem er stammt.«
    Prüfend führte er den Anhänger zum Mund und biss darauf. »Du hast ihn jedenfalls nicht selbst gemacht.«
    »Natürlich nicht!«
    »Und du willst dagegen tauschen?«
    Sie nickte. »Was bekomme ich dafür? Einen Schädel will ich nicht, der ist zu groß. Und eine Brustwarze der heiligen Mathilde … lieber auch nicht.«
    »Zu teuer«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich kann dir dafür nur etwas sehr Kleines geben.«
    Trotzig fischte sie ihm das Amulett aus den Fingern. »Dann eben nicht.«
    »Die Größe einer Reliquie hat nichts mit dem Schutz zu tun, den sie gewährt.«
    »Ach ja?«
    Katervater fingerte in den Ausschnitt seines viel zu engen Gewandes und zog ein Lederband zwischen seinen fleischigen Brüsten hervor. Er hielt den Anhänger mit Daumen und Zeigefinger. »Weißt du, was das ist? Ein Zahn aus dem Munde des heiligen Petrus.« Hastig schlug er ein Kreuzzeichen. »Die einzige Reliquie, die ich selbst am Körper trage. Und ist die vielleicht groß?«
    Tiessa runzelte die Stirn. »Da ist eine faule Stelle dran.«
    Katervater stopfte Zahn und Band wieder unter seine Kleidung. »Das ändert überhaupt nichts an der Heiligkeit. Komm mit, wir schauen uns mal um. Vielleicht finde ich etwas für dich.«
    Sie folgte ihm zögernd durch die Gänge zwischen den Kistenwällen. Oft blieb er stehen und sah in offene Gefäße, nahm mal etwas heraus und legte es wieder zurück. »Ein Schleier Mariens? Nein, zu wertvoll und nicht besonders wirkungsvoll, hab ich mir sagen lassen … Was haben wir hier? Ein Stück von der Dornenkrone Christi. Das da ist sein Blut. Aber, nein, das ist auch nichts für dich … Hier! Ein kleines Stück von der Salzsäule, zu der Lots Frau erstarrt ist. Hmm, allerdings nicht sehr brauchbar bei Regen … Oder das hier: Roststaub von einem Gitter, auf dem der heilige Laurentius gebraten wurde … Ein Schiffsnagel von Noahs Arche … Der halbe Fingernagel des Täufers … In dem Fass da sind allerlei Köpfe, aber die willst du ja nicht … Vielleicht nur eine Hirnschale? Nein? … Oder ein Herz, ganz klein geschrumpelt? … Die Nabelschnur Jesu, ein Schnäppchen – obwohl, na ja, ich bin nicht ganz sicher, ob sie echt ist … Tja, was noch? Sand aus dem Heiligen Land – nein, wohl kaum, davon wirst du bald genug zwischen den Zähnen haben …« Er blieb stehen und grinste wieder. »Ah, jetzt weiß ich! Hier rüber, komm mit!«
    Sie folgte ihm in den vorderen Teil des Schiffes. Unterwegs fragte sie: »Du darfst das alles gar nicht verkaufen, oder?«
    »Natürlich nicht. Die Kirche nennt das Simonie. Geistlichen Schacher. Damit kennen die sich aus, deshalb haben sie ein Wort dafür erfunden.«
    Er blieb vor einem Berg aus Gerümpel stehen und begann schnaufend und stöhnend alte Decken, zerbrochene Kisten, leere Fässer und Säcke von etwas herabzuziehen, das darunter verborgen war.
    Was er schließlich enthüllte, war ein steinerner Sarkophag, eingestaubt und von Spinnweben überzogen. In den Deckel war ein schlichtes Muster eingehauen, das vom Dreck in den Ritzen erst sichtbar gemacht wurde.
    Tiessa sah Katervater von der Seite an. »Zu groß.«
    »Ja, ein wenig, was? Und jetzt geh zurück zum Tisch mit den Knochen. Dort steht ein Tonfläschchen in einer offenen Kiste. Hol’ s her.«
    Sie schloss die Hand um das Amulett auf ihrer Brust. »Du drehst mir nicht irgendwelchen Tand an, oder?«
    Er lächelte. »Bestimmt nicht. Und jetzt mach schon, was ich dir sage.«
    Als sie mit dem Fläschchen zurückkehrte, hatte er den Abfall auf den Planken vor dem Sarkophag so weit beiseite geräumt, dass sie beide ungehindert herantreten konnten. In einer Hand hielt Katervater jetzt ein winziges Glasgefäß, geformt wie ein Tropfen und kaum größer als ein Daumenglied. Am schmalen Ende befanden sich ein Verschluss und eine Öse, durch die man eine Schnur oder ein Lederband ziehen konnte, um die winzige Phiole wie ein Medaillon am Hals zu tragen.
    Er nahm Tiessa die Tonflasche aus der Hand, entkorkte sie und goss eine träge Flüssigkeit in eine münzgroße Öffnung am Kopfende des Sarkophagdeckels.
    »Und?«, fragte Tiessa.
    »Wart’s ab.« Katervater stellte die Flasche beiseite, ging stöhnend und mit einiger Mühe vor dem Sarkophag auf die Knie und tastete am Fußende, kurz über dem Boden, bis er dort eine zweite, noch kleinere Öffnung in der Seitenwand gefunden hatte. Davor hielt er die offene Glasphiole. »Das dauert jetzt ein Weilchen. Aber wir haben ja sonst nichts zu

Weitere Kostenlose Bücher