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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Konkubine senkte ihre Stimme. »Ich habe es selbst geschrieben.«
    »Was?«
    Karmesin lachte, und zum ersten Mal in all den Wochen entdeckte Saga eine Spur von Aufregung in ihren Zügen. »Ich könnte die Stimme des Papstes imitieren, wenn ich müsste. Sogar seinen Gang. Und wie er sich am Hals kratzt, wenn er Dinge sieht, die Priester eigentlich nicht sehen dürfen. Sogar die Art, wie er atmet. Wenn er wach ist und wenn er schläft.« Sie ergriff Sagas Hand und zog sie näher heran, bis Saga unmittelbar vor ihr stand und auf Karmesin herabblicken musste. »Ein Schriftstück zu fälschen ist ein Kinderspiel, wenn man weiß, worauf man achten muss. Und wenn man das richtige Siegel besitzt.«
    »Du hast ein Siegel des Papstes?«
    »Er wird es nicht vermissen. Und wenn schon …« Sie hob die Achseln. »Was sollte er schon tun? Mich ex kommunizieren? Einer Karmesin ist es sogar untersagt zu beichten, weil der Heilige Vater zu große Sorge hat, was sie dabei ausplaudern könnte. Innozenz würde es sich dreimal überlegen, bevor er mich zornig macht. Oder er würde mich sofort umbringen lassen.« Sie feixte wie ein Kind, das gerade einen Witz gemacht hat, den kein Erwachsener versteht. »Und wer sollte das wohl erledigen?«
    »Auch du bist nicht unsterblich.«
    »Ich nicht. Aber die Karmesin. Das, wofür wir seit tausend Jahren stehen. Nach mir wird es wieder eine geben. Und danach eine andere. Eine von uns wird immer da sein.«
    Saga neigte den Kopf. »Aber warum tust du das? Für Violante?«
    Karmesin stand auf und trat an das schmale Fenster, kaum mehr als eine Schießscharte in der Basaltmauer. Von hier aus war ein Stück des Wehrgangs zu sehen, auf dem im Mondlicht schwarz gewandete Ordensritter patrouillierten.
    »Nicht für Violante«, sagte sie, ohne sich zu Saga umzudrehen. »Nur für dich.«
    »Für mich?«
    »Wenn du jetzt umkehren würdest, egal aus welchem Grund, dann würde es niemals zu Ende sein. Viel mehr als für mich oder Jorinde ist es wichtig für dich, dass es wirklich vorbei ist. Oder nicht?«
    Saga starrte sie an, völlig perplex, dass sie in Karmesins Worten ihre eigenen Gedanken wiederfand: ihre Vermutungen darüber, dass der Lügengeist sie vielleicht in Ruhe lassen würde, wenn dies alles endlich ausgestanden war; und die Gewissheit, dass es einen Abschluss gab für das, was sie seit so langer Zeit durchmachte. Vielleicht war das eine fixe Idee, womöglich machte sie sich selbst etwas vor. Aber warum war dann Karmesin zu demselben Schluss gekommen?
    »Wenn wir Gahmuret finden«, sagte die Konkubine, »dann wird es vorüber sein, auf die eine oder andere Weise. Kann sein, dass wir sterben. Oder dass wir zu spät kommen. Aber dies alles wird ein Ende haben. Ich möchte wissen, wie es ausgeht – aber du, Saga, du musst es wissen. Sonst wirst du niemals Ruhe finden.«
    Sagas Stimme klang stumpf. »Glaubst du, dass wir lebend von dort zurückkehren?«
    »Wenn ich das wüsste, würde das vieles einfacher machen, nicht wahr?« Karmesin kam zurück zu ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie sanft auf die Bettkante. »Ich werde jedenfalls tun, was ich kann, damit wir alle am Leben bleiben.«
    In Sagas Augen brannten Tränen. »Das wird nicht leicht werden.«
    »Vielleicht nicht.«
    »Du glaubst, dass der Großmeister übertrieben hat?«
    Karmesin schüttelte den Kopf. »Aber auch er weiß nichts über Gahmuret, stimmt’s? Nur das, was war, aber nicht, was ist.«
    »Noch wissen wir nicht mal, ob der Großmeister uns überhaupt gehen lässt.«
    »Das wird er«, erwiderte Karmesin überzeugt.
    »Was macht dich da so sicher?«
    Die Konkubine lächelte. »Ich habe es ihm befohlen.«
    Am nächsten Morgen brannte die Sonne unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel herab. Sie hatte kaum den Rand der Zinnen erreicht, aber schon jetzt staute sich die Hitze im Hof der Festung.
    Karmesin hatte damit Recht behalten, dass der Großmeister ihrem Ansinnen zustimmen würde. Ein Trupp von zehn Rittern würde die drei Frauen zum Krak des Chevaliers begleiten. Keine Vasallen, keine einfachen Soldaten. Echte Ritter, erfahrene Kämpfer in zahllosen Schlachten, mit argwöhnischen Augen, denen keine Bewegung entging, und gegerbten Gesichtern, braungebrannt von der Sonne. Nichts, das sie taten, wirkte beiläufig oder überflüssig. Sie glitten geschmeidig auf ihre Pferde, trotz der Last ihres Kettenrüstzeugs, und wenn sie auf Latein miteinander sprachen, schien es sich um knappe Anweisungen und Bestätigungen

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