Herrin der Lüge
hohen Wehrgängen, die einen U-förmigen Innenhof umfasste. In seinem Zentrum erhob sich die eigentliche Kernburg, deren Hänge man künstlich abgeschrägt und glatt gepflastert hatte, um ein Erklimmen unmöglich zu machen. Frieden hatte der Krak des Chevaliers niemals gekannt; nicht damals, als hier noch die Burg eines kurdischen Emirs gestanden hatte, und nicht heute, da das Umland unter der stählernen Faust der Kreuzritter ächzte.
Während sie sich der Festung näherten, schlug Fauns Herz immer heftiger. Sogar auf den Zinnen und Türmen suchte er nach Hinweisen auf Sagas Anwesenheit. Nach all den Wochen waren sie womöglich nur noch durch diese Mauern voneinander getrennt.
Du bist hier, raunte er in Gedanken. Ich kann dein Herz hören, weil es klingt wie meines. Ich weiß, dass du hier bist. Am liebsten hätte er sein Pferd in Galopp ausbrechen lassen, aber dann hätten die Wächter auf den Türmen ihn schon von weitem mit ihren Armbrüsten aus dem Sattel geschossen. Er wusste, wie vorsichtig er sein musste, und zugleich schrie alles in ihm dagegen an. Er wollte losreiten, sie finden und mit nach Hause nehmen. Jetzt gleich.
Stattdessen hielt er seine Gefühle im Zaum und ließ mit bebenden Knien seinen staubigen Rappen auf den Eingang des Krak zu traben.
Das Tor der Festung war erstaunlich klein. Faun hatte ein prächtiges Portal erwartet, doch sie fanden nur eine schmale Zugbrücke und einen halbrunden Durchgang in einen engen Vorhof. Die Wächter in ihren schwarzen Waffenröcken mit dem weißen Kreuz ließen sie zögernd passieren, nachdem Faun versucht hatte, ihnen zu erklären, warum er hier war. Einer der Männer verstand seine Sprache und winkte die drei durch, ohne zu erkennen zu geben, was er von Fauns Behauptungen hielt.
Erst nachdem sie den Vorhof und ein weiteres Tor passiert hatten, kamen sie in den eigentlichen Innenhof. Hier erkannten sie, weshalb es so einfach gewesen war, in die Feste zu gelangen. Es wimmelte von Einheimischen, die im Hof ihre Verkaufsstände aufgeschlagen hatten. Johanniter patrouillierten mit Lanzen und Schwertern, viele Ritter standen auch an den Ständen und feilschten um Früchte, Honig und geschnitzte Schachfiguren. Überall gab es morgenländisch aussehende Männer und Frauen in schlichter Kleidung, bei denen es sich um Dienstboten oder Reisende handeln mochte.
»Warum lassen sie Feinde in ihre Mauern?«, flüsterte Tiessa.
»Nicht alle Sarazenen sind Feinde«, entgegnete Zinder. »Manche Orden sind ihnen gegenüber aufgeschlossener als andere, und es mag Burgherren geben, die ihnen durchaus wohlwollend begegnen. Hier heißt es entweder miteinander auskommen oder aber sich blutige Köpfe holen.«
Während der Söldner noch redete, hielt Faun bereits auf das Tor der Kernburg zu. Sie waren jetzt alle drei abgestiegen und führten ihre Rösser an den Zügeln. Hühner liefen vor ihnen über den Hof, grauer Basaltstaub bildete faserige Trichter im Wind. Zahllose Stimmen schwatzten durcheinander. Es roch nach heißem Sand, Schweiß und fremden Gewürzen, nach Pferdeäpfeln und Schweinedung. Irgendwo ertönte eine Flöte, aber als Faun sich nach dem Musikanten umsah, konnte er ihn nirgends entdecken.
»Ich bin auf der Suche nach meiner Schwester«, richtete er das Wort an einen der Wachhabenden am Tor der Kernburg. »Sie ist mit einem Trupp Eurer Brüder von Margat aus hierher geritten. Ihr Name ist Saga. Sie ist in Begleitung der Gräfin Violante von Lerch und einer zweiten Frau, von der es heißt, dass sie ungewöhnlich schön ist. Sicher habt Ihr sie bemerkt.«
Die Wächter redeten miteinander, ein höhergestellter Befehlshaber wurde hinzugeholt, und bald darauf bekamen die drei das Zeichen, dass sie die Kernburg betreten durften. Ihre Waffen mussten sie ablegen, auch Zinders Kettenschwert, aber alles wurde in einem Leinensack aufbewahrt und von einem Soldaten hinter ihnen her ins Innere der Burg getragen.
Sie kamen in einen ungleich engeren und schattigeren Hof, vielfach verwinkelt und weniger belebt als der große Hof an der Außenseite. Faun bemerkte, dass die Flötenmelodie hier deutlicher erklang als draußen, und wieder blickte er sich suchend um.
Tiessa trat neben ihn und berührte seine Hand. Sein Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Nach der sengenden Hitze und Helligkeit an der Außenseite mussten sich seine Augen erst an das schattige Grau gewöhnen. Er kniff die Lider zusammen, öffnete sie wieder.
Er hatte Violante immer in einem edlen Gewand vor
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