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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seiner Entscheidung. Schließlich kam es so weit, dass er seine Zusage wieder zurückzog und vorgab, eine Nacht darüber schlafen zu müssen. Es sei unverantwortlich, meinte er, die Frauen in diese Hölle zu schicken. Weder Karmesins Beharrlichkeit noch ihr Pochen auf das Siegel des Papstes, und erst recht nicht die Flüche der streitbaren Violante, brachten seinen Beschluss ins Wanken. Morgen früh, so verkündete er, wolle er ihnen mitteilen, ob er einer Weiterreise zustimmen könne oder nicht.
    Für die Nacht wurden sie in den kargen Gästequartieren Margats untergebracht. Jede erhielt eine eigene Kammer, und Saga entschied, sich früh schlafen zu legen. Die Strapazen des Ritts steckten auch ihr tief in den Knochen, ganz zu schweigen von der Mühsal wochenlanger Seefahrt. Die Vorstellung, die Rückreise irgendwann erneut auf einem Schiff antreten zu müssen, war nur schwer zu ertragen. Dann aber sagte sie sich, dass es zu früh war, an eine Rückreise überhaupt zu denken.
    Als sie erwachte, schlug die Glocke der Burgkapelle elf. Es war dunkel geworden, obgleich noch immer ein fernes Glühen am Himmel schimmerte. Saga wälzte sich eine Weile auf ihrem Lager umher, ehe sie sich eingestehen musste, dass sie vor Aufregung über den bevorstehenden Ritt ins Unbekannte nicht wieder einschlafen konnte. Sie überlegte, in der Küche um einen Becher Wasser zu bitten, ehe sie schließlich auf den Gedanken kam, Karmesin aufzusuchen. Es war nicht besonders rücksichtsvoll, um diese Zeit an ihrer Kammertür zu klopfen. Andererseits hatte sich die Konkubine in den vergangenen Tagen seltsam distanziert verhalten, sogar Jorinde gegenüber. Sie schien sich Sorgen zu machen, war oft tief in Gedanken versunken, und es irritierte Saga mit jedem Tag mehr, dass Karmesin ihr nichts von dem Schriftstück erzählt hatte. Wieso aber hatte Violante darüber Bescheid gewusst? Als hätte es zwischen ihnen eine geheime Absprache gegeben. Dabei hatten die Konkubine und die Gräfin nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie einander nicht mochten.
    Saga verließ ihre Kammer und lief auf nackten Füßen zu Karmesins Tür hinüber. Der schwarze Basaltboden war eiskalt, trotz der Hitze, die tagsüber außerhalb der Mauern herrschte. Sie trug eine lederne Hose und ein weiches Wams, das bis auf ihre Knie reichte. Beides hatte man ihr am Nachmittag gebracht. Knappenkleidung, vermutete sie.
    Sie hob die Hand und klopfte an die Kammertür. »Wer ist da?«, fragte Karmesin.
    »Ich bin’s. Saga.«
    Von innen wurde entriegelt. Zu Sagas Erstaunen war Karmesin vollständig angekleidet. Sie trug die Hose aus Wildleder, die ein wenig zu weit um ihre schlanken, langen Beine lag, und ein Wams, das im Gegensatz zu Sagas eigenem ein hübsches Muster aufwies; Saga vermutete, dass es sich dabei um ein abgeschnittenes und umgenähtes Kleid handelte, weil die Nonnen es nicht über sich gebracht hatten, eine Erscheinung wie Karmesin in grobe Männerkleidung zu stecken. Ihr rabenschwarzes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gerafft. Sie wirkte überrascht, dass Saga sie so spät am Abend aufsuchte.
    Zwei Talgkerzen brannten in tönernen Schalen und spendeten zuckendes Licht, als Saga sich durch den Türspalt zwängte.
    »Du bist noch angezogen?«, fragte sie.
    »Ich war bei Jorinde.«
    Sagas schlechtes Gewissen rührte sich. Sie hatte Jorinde seit ihrer Ankunft auf Margat nicht mehr gesehen. »Wie geht es ihr?«
    »Sie wird nach Zypern zurückkehren.«
    »Gott sei Dank! War es schwer, sie zu überreden?«
    Karmesin schüttelte den Kopf. »Es war ihr eigener Entschluss. Das Kind ist ihr wichtiger als Violante und Gahmuret.« Sie schnaubte leise. »Ich wünschte, du und ich, wir wären genauso vernünftig.«
    »Du würdest lieber zurückbleiben?«
    »Ohne mich und meine Befugnisse wird Violante in diesem Land keinen weiteren Schritt machen. Sie braucht mich. Und das weiß sie.«
    »Ihr scheint euch plötzlich besser zu verstehen, du und die Gräfin.«
    »Sie gibt sich Mühe.« Karmesin winkte ab. »Sie ist immer eine berechnende Frau gewesen, gerade du solltest das wissen. Sie wird noch die Engel am Himmelstor manipulieren … Vorausgesetzt, sie landet nicht ein Stockwerk tiefer, nach allem, was sie hier unten in Gang gebracht hat.«
    Saga lächelte höflich. »Sie wusste von dem Freibrief des Papstes.«
    »Viel früher hätte ich das Dokument niemandem zeigen können«, sagte Karmesin. »Weil es vor ein paar Tagen noch gar nicht existiert hat.«
    »Aber –«
    Die

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