Herrin der Lüge
Gesandte des Papstes an der Spitze; sie führte auch alle Gespräche mit den Rittern. Saga, Violante und Jorinde folgten, Letztere mit wachsendem Unbehagen, denn das ungeborene Kind regte sich in ihrem Leib und machte das Reiten zur Tortur. Trotzdem hatte sie darauf bestanden, die Gefährten so weit wie möglich zu begleiten.
Saga selbst hatte sich längst entschieden, Violante bis zum Ende ihres Weges zu folgen. Zum einen aus einer bizarren Neugier heraus, die sie vor ein paar Wochen noch für undenkbar gehalten hätte. Aber auch, weil eine innere Stimme ihr zuraunte, dass es ihre Bestimmung war, das Ende von Violantes Wahnsinn mit eigenen Augen zu erleben. Und wenn auch nur, um irgendwann sicher sein zu können, dass es tatsächlich vorüber war. Sie hatte den Lügengeist nicht durch ihren freien Willen und nicht mit Hilfe von außen bezwingen können; was blieb, war die Möglichkeit, ihm zu beweisen, dass er nicht länger gebraucht wurde. Vielleicht war ihr all dies hier vorherbestimmt gewesen, womöglich hatte sie ihn deshalb siebzehn Jahre lang in sich getragen. Wenn sie heimkehrte und ihr Leben zurück in die gewohnten Bahnen lenkte – wie auch immer sie das anstellen wollte –, dann würde er sie vielleicht ganz von selbst in Frieden lassen. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass sich ihr in Zukunft gewiss kein zweites Mal eine Aufgabe wie diese hier stellen würde, und vielleicht würde sich der Lügengeist dann einfach einen anderen suchen, jemanden, der seiner nötiger bedurfte oder leichter zu einem solchen Abenteuer zu bewegen war.
Sie durchquerten die felsigen Hügel an der Küste und kamen bald in eine weite Landschaft, über der sich die Johanniterburg Margat auf einem imposanten Bergbuckel erhob. Das Land war hier fruchtbarer, es gab borstiges Gras, Haine von Olivenbäumen und gelegentlich ein paar karge Ackerflächen, auch wenn die Winde unablässig Wüstensand aus den nahen Öden herbeitrugen und alles mit hellem Staub überzogen.
Margat selbst bot einen einschüchternden Anblick. Vollständig aus schwarzem Basalt errichtet, aber hell verfugt, thronte die Festung seltsam verwinkelt über einer Ansiedlung an der Nordseite des Berges. Am auffälligsten war ein mächtiger Rundturm, der Wohnsitz des Ordensgroßmeisters, und ein zweiter, kaum kleinerer Turm im Norden, der von zwei niedrigeren Wehrtürmen flankiert wurde. Nirgends gab es Verzierungen. Die Feste Margat war zu einem einzigen Zweck errichtet worden: Von hier aus sollte Krieg geführt werden. Ihre Erbauer hatten nichts getan, um diese Absicht zu verschleiern. Alles wirkte klotzig, eindrucksvoll und Furcht einflößend.
Hinter den Zinnen der Burg, auf Wehrgängen und Wachtürmen, standen Johanniter in ihrer typischen Tracht. Über Kettenhemden trugen sie lange schwarze Waffenröcke, auf denen das weiße Kreuz des Ordens prangte. Auch ihre dreieckigen Schilde waren schwarz, das Kreuz saß darauf oben links und nahm nicht einmal ein Viertel der Fläche ein.
Ihre dunklen Umhänge bauschten sich weit im Wind, der aus dem Hügelland gegen die Festungsmauern peitschte. Viele hielten Lanzen am ausgestreckten Arm, parallel zum Körper, an deren Stahlspitzen lange Wimpel geschlängelt auf den Böen tanzten.
Während eine Hand voll Nonnen sich der geschwächten Jorinde annahmen, wurden Karmesin, Saga und Violante zum Großmeister des Ordens geführt. Er empfing sie in einem schmucklosen Saal. Auf einer runden Tischplatte hatte man Armeen aus winzigen Holzstücken aufgebaut, als wäre ein wunderliches Spiel im Gange. Tatsächlich wurden hier Feldzüge geplant, Verteidigungen von Ordensburgen organisiert und Strategien für die Rückeroberung Jerusalems geschmiedet.
Karmesin zückte einmal mehr ihr päpstliches Dokument. Saga hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sie unter vier Augen dazu zu befragen. Weshalb hatte die Konkubine das Pergament niemals vorher erwähnt? Wirklich nur, weil es ihnen unterwegs nicht von Nutzen gewesen wäre?
Nach einem langen Gespräch, in dem der Großmeister sie nachdrücklich vor den Gefahren an der Grenze zum Seldschukenreich warnte, wurde entschieden, dass ein Trupp Johanniter am nächsten Morgen mit ihnen zum Krak des Chevaliers aufbrechen sollte. Die Reise würde mehrere Tage in Anspruch nehmen, und einmal mehr beschwor der Großmeister die Risiken eines solchen Weges herauf. Er berichtete von Überfällen und dem harten Leben in der Grenzfestung, und je länger er darüber sprach, desto schwankender wurde er in
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