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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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selben Moment von ihm abgefallen, als er Saga vor sich gesehen hatte. Aber jetzt stieg eine neuerliche Sorge in ihm auf, und er war nicht sicher, wie er es Tiessa sagen sollte.
    Eine Falte erschien zwischen ihren Augen. »Was ist los?«
    Kurz druckste er herum, dann gab er sich einen Ruck. »Sie will Violante begleiten. Tiefer in diese … Hölle da draußen. Weiter nach Osten.«
    »Um Gahmuret zu suchen?«
    Er nickte.
    »Und du willst sie nicht allein gehen lassen.«
    Er wich ihrem Blick aus, obwohl sie nicht zornig aussah. Auch nicht enttäuscht. Aber gerade das machte ihn unsicher. »Ich kann nicht einfach zusehen, wie sie wieder verschwindet. Ich habe sie gerade erst wiedergefunden, und nun …« Er brach ab, weil ihm die Worte ausgingen, und er dachte, dass Tiessa es entweder verstehen würde oder nicht, ganz gleich, was er sagte und nach welchen Erklärungen er suchte. Er konnte Saga nicht einfach davonziehen lassen. Nicht schon wieder.
    Tiessa verriet noch immer durch keine Regung, was ihr durch den Kopf ging. »Wenn man einmal für einen Augenblick außer Acht lässt, was Violante anderen Menschen angetan hat … all den Mädchen auf der Insel und ihren Familien zu Hause … Wenn man das alles einmal ganz kurz vergisst, dann kann man sie fast verstehen, oder?« Sie schwieg einen Moment lang. »Sie hat eine Menge auf sich genommen, um jemanden wiederzufinden, den sie liebt.«
    »Und du meinst, das ist dasselbe wie bei Saga und mir?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht dasselbe. Aber du kannst sie verstehen, oder? Ich glaube, ich kann es.« Sie senkte ihre Stimme. »Wenn du das wärest, der da draußen verschollen ist, dann würde ich …« Sie brach ab.
    Er küsste sie erneut, diesmal weitaus weniger übermütig als zögernd, fast ein wenig unsicher.
    »Lass mich mitkommen«, sagte sie.
    »Das ist –«
    »Zu gefährlich? Eben deshalb.«
    »Du bist verrückt.«
    »Und mach dir keine Sorgen um Saga. Sie hat es ohne dich bis hierher geschafft, und sie hat es bestimmt nicht leichter gehabt als wir.«
    »Aber –«
    »Und was mich angeht«, unterbrach sie ihn, »ich bin froh über jeden Tag, den ich bei dir sein kann.«
    Er wusste genau, was sie da in Wahrheit sagte: froh über jeden Tag, den sie ihre endgültige Entscheidung hinauszögern konnte.
    Saga erreichte Zinder und Violante und räusperte sich, als der Söldner sie nicht auf Anhieb wahrnahm. Dann aber hellten sich seine Züge auf. Er stieß ein freudiges Lachen aus. Violante kniff verbissen die Lippen aufeinander, als er Saga von den Füßen hob und ausgelassen umarmte.
    »Hör auf damit!«, rief Saga lachend. »Zinder! Hör auf! Irgendwer könnte noch denken –«
    »Dass manchem hier die viele Sonne nicht gut bekommen ist«, sagte Violante.
    Zinder setzte Saga am Boden ab. »Gott, Mädchen, du hast da einen hässlichen Schmiss abbekommen.«
    Die Gräfin ging dazwischen. »Jetzt erklär mir verdammt noch mal, was du hier zu suchen hast.«
    Zinder schwieg. Und auch Saga biss sich auf die Lippen. Das hier war eine Sache zwischen den beiden.
    »Was willst du, Zinder?«, fragte die Gräfin flüsternd.
    »Ich weiß, warum Ihr hier seid. Lasst mich mit Euch gehen, bis zuletzt.«
    »Ich gehe zu Gahmuret.«
    »Auch das weiß ich.«
    Eine ganze Weile musterte sie ihn schweigend. »Aber du verstehst nicht, warum«, kam es tonlos über ihre Lippen. »Glaub mir, du kannst es nicht verstehen.«
    Damit wandte sie sich ab und ging davon, aber nicht schnell genug, als dass Saga nicht die Tränen in ihren Augen hätte blitzen sehen.
    »Wie, zum Teufel, hat sie das gemeint?«, murmelte er.
    Saga sah ihn hilflos an. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. Dann ergriff sie seine Hand. »Komm«, sagte sie. »Es gibt viel zu erzählen.«
    Er stand einen Moment lang da und blickte Violante ausdruckslos hinterher. Dann nickte er und folgte Saga zu ihrem Bruder und dem Mädchen an seiner Seite.
    Die zehn Johanniter, die Saga, Violante und Karmesin von Margat aus zum Krak des Chevaliers begleitet hatten, ritten erneut mit ihnen, als sie zwei Tage später die Festung verließen. Außerdem gab ihnen der Befehlshaber der Burg zehn weitere Männer mit auf den Weg, drei davon Späher, die erst am Tag zuvor mit der verspäteten Patrouille aus dem Osten zurückgekehrt waren und so ausgezehrt aussahen, dass Faun ernsthafte Zweifel kamen, ob sie die Strapazen der Reise ein zweites Mal durchstehen würden. Aber bald schon stellte sich heraus, dass er die Ritter unterschätzt hatte. Während

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