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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vor ihr auf den Steinboden schepperte.
    »Nimm es schon«, forderte Karmesin. »Vielleicht brauchst du es noch.«
    »Wir können nicht gegen sie kämpfen, Karmesin. Wir würden uns anstecken.«
    »Nicht gegen Gahmurets Männer. Aber gegen die Seldschuken. Und nun komm endlich!« Hastig kletterte sie auf allen vieren den schrägen Balken hinauf und zog sich Augenblicke später durch die Öffnung ins obere Stockwerk.
    Alles in Saga sträubte sich, ihr zu folgen.
    »Warte«, keuchte Gahmuret, als sie zögernd an der Tafel vorbei auf den Trümmerberg zuging.
    Außerhalb seiner Reichweite blieb sie stehen, obwohl er nicht aussah, als besäße er noch genug Kraft, um nach ihr zu greifen.
    »Wenn du das Schwert nicht willst … dann gib es mir.« Sein Kopf ruhte schräg auf seiner Schulter, in Violantes Richtung geneigt.
    »Saga«, rief Karmesin von oben aus dem dunklen Loch, »komm schon!«
    Saga trat vor und legte die Waffe auf die Tafel, ohne dabei das Holz zu berühren. Mit dem Finger drehte sie den Griff in Gahmurets Richtung und gab der Klinge einen Stoß. Scharrend rutschte das Schwert über die Tischplatte auf ihn zu, stieß mit dem Knauf gegen seine Brust und blieb liegen, schräg in seinem Schoß.
    Gahmuret nickte ihr zu, und für einen Moment sah es aus, als würde sein Kopf vornübersacken. Zitternd hob er die Hand und tastete nach der Waffe.
    »Komm her«, sagte er brüchig.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Malachias«, flüsterte er. »Jemand muss ihm … berichten, was … geschehen ist …«
    Sehr langsam machte sie einen Schritt auf ihn zu. Gahmurets vernarbte Lippen erbebten. Er nannte ihr den Namen eines Ortes. »Wirst du es tun?«, fragte er kraftlos.
    Sie wusste nicht, ob selbst das eine Lüge war – aber sie nickte. »Danke«, wisperte er.
    Saga setzte sich stockend wieder in Bewegung, rannte an ihm und Violante vorüber und kletterte den Trümmerhügel hinauf. Schneller noch als Karmesin war sie den Balken hinauf und richtete sich neben der Konkubine im Dunkeln auf.
    Unter ihr in der Halle ertönte ein scharfes Keuchen. Als sie sich hinabbeugte und zurückblickte, verdeckte die hohe Stuhllehne ihre Sicht auf Gahmuret. Aber sie sah, dass seine Hand jetzt auf Violantes Hinterkopf ruhte, als würde er ihr Haar streicheln. Seine Füße unter der Tafel zuckten ein letztes Mal. Das Feuer in der Grube knisterte und fauchte.
    »Wir müssen irgendwie raus auf die Zinnen«, sagte Karmesin.
    »Er ist tot«, flüsterte Saga.
    »Er wäre ohnehin gestorben. Du hättest bessere Verwendung für das Schwert gehabt als er.«
    »Was ist in Konstantinopel geschehen?« »Wir haben jetzt keine –«
    »Ich will es wissen.«
    Karmesin starrte sie an, dann seufzte sie. »Er hat die beiden Jungen mit auf den Kreuzzug genommen. Vielleicht um Violante wehzutun oder um ihr klar zu machen, was sie angerichtet hat. Vielleicht auch nur aus Gehässigkeit, wer weiß? Violante ist ihm gefolgt, und sie hat Konstantinopel sogar noch vor ihm erreicht. Als die Stadt erobert wurde, da hat sie ihn aufgesucht und ihre Söhne – der eine von ihm, der andere von Philipp – zurückverlangt. Als er sich geweigert hat, ist sie zu Oldrich gegangen und hat ihm weisgemacht, Gahmuret wollte die Verschwörung im ganzen Heer bekannt machen. Oldrich hat Gahmuret noch in derselben Nacht gestellt, zusammen mit dem Bethanier, und es heißt, auch Violante selbst kam dazu und hat versucht, Gahmuret die Kinder zu entreißen. Doch er ist mit dem älteren der beiden aus der brennenden Stadt entkommen, mit Malachias. Ist es nicht ein Hohn des Schicksals, dass es ausgerechnet Philipps leiblicher Sohn war, den er mitgenommen hat, nicht sein eigener?«
    Saga versuchte sich die Szene vorzustellen. Unten wurde der Lärm immer lauter. Der Flügel des Portals knirschte.
    »Woher weißt du das alles? Vom Papst?«
    Karmesin nickte gehetzt und verlor endgültig die Geduld. »Weiter!«
    Saga stand benommen auf und folgte ihr ins Dunkel. Sie mussten über ein Chaos aus Balken und Lehmziegeln klettern. Durch die Reste des zerstörten Dachgiebels über ihnen konnte Saga die Sterne sehen. Es war eine klare Nacht, der Mond schien blass auf die Festung herab. Unter ihren Füßen vibrierte der Boden bei jedem ihrer Schritte. Sie fürchtete, die Hallendecke könnte jeden Augenblick vollständig in sich zusammenstürzen und sie mit sich hinabreißen.
    Stolpernd gelangten sie auf einen Gang, über dem das Dach unversehrt war. Das eine Ende führte auf eine Treppe ins Erdgeschoss, am

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