Herrin der Lüge
einem der Pferde zu schleppen. Mit einer Hand zog Karmesin sich in den Sattel, während Tiessa von unten nachschob.
Derweil untersuchte Faun durch einen Tränenschleier den Pfeilschaft in Zinders Brust. Es floss kaum Blut, genau wie an seinem eigenen Bein, und doch war abzusehen, dass der Söldner nicht überleben würde. Faun hatte solche Verletzungen während des Bürgerkriegs gesehen – einer seiner älteren Brüder war im Pfeilhagel gesichtsloser Gegner gefallen –, und er wusste von niemandem, der sie heil überstanden hatte.
»Faun?« Zinders Lider flackerten, blieben aber geschlossen. Seine Lippen bebten. Er keuchte, weil der Staub sie alle allmählich erstickte, falls sie nicht bald von hier fortkamen oder die Wolke sich endlich senkte. Nicht einmal der Wüstenwind kam gegen sie an. Womöglich kämpften dort draußen noch immer Seldschuken und Pferde um ihr Leben, wühlten panisch im Staub, der allmählich ihre Augen und Münder und Lungen verschloss.
Tiessa packte Faun unter den Armen und wollte ihn fortbringen, heraus aus den tödlichen Schwaden, aber er schüttelte heftig den Kopf und setzte sich zur Wehr.
»Er lebt noch!«, stieß er mit heiserer Stimme aus. »Zinder lebt noch!«
Sie zögerte, dann wandte sie sich dem Söldner zu, packte ihn kurzerhand am Arm und zerrte ihn rückwärts über den Fels dem Hang entgegen, fort vom Ufer, dorthin, wo sie alle wieder einigermaßen atmen konnten. Die beiden Pferde, das eine mit der zusammengesackten Karmesin im Sattel, waren bereits vorausgelaufen. Faun schleppte sich mit letzter Kraft hinterher und brach schließlich neben Zinder zusammen.
»Wenn sich der Staub legt, können die Seldschuken uns sehen«, ächzte Tiessa. »Dann müssen wir fort sein, oder es wird noch eine ganze Menge mehr Pfeile hageln!«
Sie sprang auf, hielt sich einen Ärmel vor Nase und Mund und lief noch einmal in die wallende Wand hinein. Es sah aus, als würde sie eins mit einer Mauer aus Basalt. »Die anderen Männer …«, rief sie über die Schulter, dann war sie verschwunden. Faun erinnerte sich, dass da tatsächlich noch andere gewesen waren, Johanniter, die ebenfalls von den Seldschukengeschossen niedergestreckt worden waren. Mindestens drei. Aber als Tiessa wenig später zurückkehrte, schüttelte sie traurig den Kopf. »Sie sind alle tot.«
Faun blickte hinab auf Zinders Gesicht. »Wir bringen dich in Sicherheit«, flüsterte er, während Tränen von seinem Kinn tropften und dunkle Punkte in die Staubschicht auf Zinders Körper stanzten. »Du schaffst das. Du wirst nicht sterben.«
Zinder brachte ein Röcheln zustande, das vielleicht eine Art Lachen sein sollte. »Ist gut …«, keuchte er kaum noch verständlich. »Karmesin hat erzählt, was mit … Violante …«
Faun wusste, dass er den Pfeil nicht aus Zinders Brust ziehen durfte, und doch hätte er genau das am liebsten getan. Er wollte irgendwie helfen, den Mann dort vor ihm retten, ganz gleich um welchen Preis. Die Hilflosigkeit war viel schlimmer als der Schmerz seiner eigenen Wunde, sie drohte ihn zu ersticken wie vorhin der Basaltstaub in seiner Kehle.
»Versprechen«, krächzte Zinder. »Was?«
»Musst … versprechen …«
Faun nickte. Tiessa fiel neben ihm auf die Knie. Sie kauerten Jetzt Seite an Seite neben ihrem sterbenden Freund. »Das Kettenschwert … Wirf es fort … In den Fluss.«
Faun nickte abermals, ohne überhaupt nachzudenken.
Zinders Züge entspannten sich. »Gut«, kam es wie ein letzter Atemzug über seine staubgrauen Lippen. »Weit in den …«?, Dann nichts mehr.
I Eine Weile später legte Tiessa Faun eine Hand auf die Schulter. Er umarmte den Toten ein letztes Mal, sah mit erstarrten Zügen zu, wie Tiessa dasselbe tat, dann schnallte er die Scheide des Kettenschwerts von Zinders Gürtel und versuchte aufzustehen. Es gelang ihm nicht, sein Bein war zu schwach.
Hinter ihnen ertönte Hufgetrappel. Die Johanniter waren zurückgekehrt; viele sahen schuldbewusst aus. Einer sprang aus dem Sattel und untersuchte Karmesin, die sich mit letzter Kraft auf dem Rücken von Tiessas Pferd hielt. Der Ritter gab einem anderen eine Anweisung. Sogleich durchsuchte jener seine Satteltaschen nach Verbandszeug. Mehrere schnallten ihre Gürtel ab, um damit die Wunden der Verletzten abzubinden. Andere wiederum hasteten in den Dunst, um die Leichen ihrer gefallenen Brüder zu bergen.
Faun versuchte ein zweites Mal aufzustehen, aber er kam nicht auf die Füße.
Zaghaft nahm Tiessa ihm Scheide und Schwert
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