Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Wieder und wieder und wieder.
    »Ohne mich wird es einen zweiten Bürgerkrieg geben«, sagte Tiessa und hielt dabei Fauns Hand. »Und ich habe gesehen, was der Krieg aus den Menschen macht. Burgen werden belagert und mit Krankheiten verseucht. Gute Männer wie Zinder verlieren ihr Leben und Frauen wie Violante den Verstand. Ich habe die verbrannten Leichenberge auf der Insel gesehen. Nichts von alldem will ich noch einmal erleben und schon gar nicht die Schuld daran tragen.« Sie drückte Fauns Finger noch fester. »Ich werde den Kaiser heiraten. Karmesin hatte Recht. Vielleicht hat Demut wirklich auch eine Menge mit Stärke zu tun.«
    »Manchmal bedeutet sie auch, dass man vor etwas davonläuft.«
    »Ich bin davongelaufen, Faun. Vor meiner Familie, vor dem Kaiser, vor dem, was alle von mir erwartet haben. Sogar vor dir und der Wahrheit, weil ich es von Anfang an hätte wissen müssen. Aber jetzt höre ich auf damit. Ich gehe zurück« – sie senkte die Stimme, sprach jetzt ganz leise – »und warte auf die Rückkehr meines Gemahls.«
    Faun umarmte sie. Sie küssten sich. Saga stand auf und ließ die beiden allein.
    Sie reisten gemeinsam nach Norden, und das half ihnen, die meisten Wunden zu heilen. Faun freute sich, dass Saga wieder bei ihm war, auch wenn sie eine andere war als vor ihrer Reise mit dem Kreuzzug der Jungfrauen. Sie hatte sich verändert. Er selbst hatte sich verändert. Anfangs wünschte er sich, es wäre leichter gewesen, das zu verstehen. Aber nach einer Weile geschah das von ganz allein.
    Mit Geld, das Karmesin ihnen gegeben hatte, schlössen sie sich ein paar Händlern an, die mit einem stattlichen Tross aus Rittern über die Alpen zogen. Ihre Führer schlugen den weiteren, sicheren Weg ein, nicht jenen durch die Via Mala. Die drei waren dankbar dafür. Der Zug über das Gebirge war wie eine Zeitreise: Nach der Fahrt über das warme Mittelmeer durchquerten sie auf den Pässen ein Stück Winter, um dann auf der anderen Seite ins satte Herbstgold der Täler hinabzusteigen.
    Vor ihnen lagen wieder die weiten, tiefen Wälder ihrer Heimat. Am Ende einer Nacht unter freiem Himmel weckte Tiessa Faun, nahm ihn bei der Hand und führte ihn im Morgengrauen auf eine Anhöhe.
    Nebelfrauen zogen tief unten durchs Tal, eine Prozession aus weißen, wehenden Gestalten. Dies war das zweite Mal, dass sie Faun und Tiessa erschienen. Ihm kam es vor, als läge ihre erste Begegnung nur wenige Tage zurück.
    Tiessa musste nichts sagen. Er erinnerte sich gut an ihre Worte von damals: Dann und wann verlieben sich Nebelfrauen in sterbliche Männer. Aber sie sind dazu verdammt, niemals wahre Liebe zu erfahren. Manchmal zeigen sie sich einem Mann im Morgengrauen, und dann kann es sein, dass sie in der Nacht heimlich bei ihm gelegen haben, obwohl er sie schon fast vergessen hat. Sie können niemals ihm gehören, und er niemals ihnen.
    »Ich werde dich niemals vergessen«, sagte er, als wäre das die Antwort, die er ihr schon damals hätte geben sollen. »Mein ganzes Leben lang.«
    Sie lächelte.
    Unter ihnen zogen die Nebelfrauen weiter.
    So kam das Ende ihrer Reise.
    Tiessa bot ihnen an, mit nach Schwaben zu gehen und dort zu bleiben. Sie wollte nicht zurück nach Braunschweig, nicht wieder in die Burg, aus der sie vor dem Kaiser und seinen Getreuen geflohen war. Sie würde die Rückkehr ihres künftigen Gemahls daheim auf dem Hohenstaufen abwarten. Dort war ihr Zuhause, dort konnte er ihr seine Aufwartung machen, wenn er wollte.
    Faun und Saga dachten kurz darüber nach, dann lehnten sie ab. Sesshaft zu werden war keine gute Idee, aus verschiedenen Gründen. Tiessas Nähe und doch Unerreichbarkeit war der eine. Aber es gab noch einen anderen. Während ihrer Reise nach Norden hatte es keine Anzeichen gegeben, dass sie verfolgt wurden, und doch trauten sie dem Frieden nicht. Das einzige Dokument, das die Mitschuld des Papstes am Untergang Konstantinopels noch bezeugen konnte, war vernichtet. Gewiss hatten Innozenz’ Spione im Lager des Kaisers diese Nachricht längst nach Rom übermittelt – ebenso wie die Tatsache, dass sich in Begleitung der Prinzessin ein junger Mann befunden hatte. Faun glaubte nicht, dass er für den Papst interessant genug war, als dass dieser ernsthaft nach ihm suchen lassen würde. Innozenz hatte es immer nur auf die Zeugen abgesehen gehabt. Ihm musste klar sein, dass es Mitwisser gab: Tiessa selbst, natürlich, die kein Interesse daran haben konnte, den geheimen Vertrag bekannt werden zu lassen,

Weitere Kostenlose Bücher